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Wohnen wie im Bienenstock: Die Architektur der Zukunft entsteht in Riem
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Egal ob München, London oder Paris – überall bietet sich das gleiche Bild: massive Neubau-Klötze, standardisiert und grau, noch dazu schwerfällig und enorm umweltschädlich im Bau. Dem will der Architekt Peter Haimerl etwas völlig Neues entgegensetzen: ein lebendiges Miteinander in einem Ensemble von sechseckigen Modulen, die sich flexibel anordnen und umgestalten lassen. Die sollen nicht etwa aus Stahl und Beton bestehen, sondern aus Holz, Glas und anderen nachhaltigen Materialien. Der Prototyp dieser Vision wird gerade in Riem entwickelt, dem aufstrebenden Stadtviertel im Münchner Osten.
“Die Waben drücken eine Verbundenheit aus”
Mit diesem Entwurf will Peter Haimerl den konventionellen “Kästchen-Städtebau” überwinden, der einem nahezu überall begegnet. Der vielfach ausgezeichnete Münchner Architekt, der zudem an der Linzer Universität lehrt, forscht seit einiger Zeit zu neuen Wohnformen für die Stadt der Zukunft. Dabei sei die Idee entstanden, mit dem Umriss des Hexagons zu arbeiten, wie man ihn beispielsweise in Bienenstöcken findet. “Die Waben drücken per se eine Verbundenheit aus”, erklärt Haimerl: Durch ihre schrägen Ebenen greifen die einzelnen Räume gewissermaßen ineinander und schaffen ein Gefühl von Gemeinschaft.
Die Cluster lassen sich dabei vielfältig kombinieren, ob als Wohngemeinschaft, Apartments oder geteilte Räume. Diese Flexibilität spiegelt sich auch im Innenleben: “Dazu braucht man eine andere Wohnphilosophie.” Architektur und Einrichtung sollen fließend ineinander übergehen, mit dem 3D-Drucker lassen sich Möbel individuell und passgenau entwerfen. Erste Prototypen habe man schon erarbeitet, lässt Haimerl wissen, demnächst werden Musterräume entworfen und eingerichtet.
Riem als Experimentierfeld und Kontrastfolie
In Riem wird dieses Modell gerade zum ersten Mal realisiert. Das Gebäude in der Den-Haag-Straße befindet sich seit Anfang 2021 im Bau und soll ab Sommer nächsten Jahres bezogen werden, per Webcam kann man den Fortschritt des Projekts sogar live verfolgen. Gemeinsam mit der jungen Wohngenossenschaft WOGENO hat Peter Haimerl hier eine “Groß-WG” mit etwa 30 Wohnungen konzipiert, inklusive Gemeinschaftsräumen und Quartierladen. Durch die Vernetzung und Offenheit der Architektur soll so eine neue Form des Miteinanders entstehen.
Zugleich möchte Haimerl mit dem Wabenhaus auch ein ästhetisches Zeichen im Münchner Osten setzen, der bisher von gleichförmigen Schachtelbauten dominiert wird: “Wir wollten einen Orientierungspunkt schaffen.” Das Gebäude wird hier noch in konventioneller Massivbauweise errichtet, um das Bienenstock-Modell zu testen. Als nächster Schritt sollen die Module dann serienweise aus nachhaltigen Materialien hergestellt und in Projekten weltweit eingesetzt werden.
Eine Bienenwabe für jede*n?
Kann diese Bauweise eine Antwort auf die Probleme von Städten wie München sein? Bietet sie eine nachhaltige Lösung angesichts von Wohnungsnot, Verdrängung und explodierenden Mieten? Oder wird hier womöglich allein das bessergestellte Zitrus-Milieu bedient, das sich innovatives Wohnen und ökologischen Lifestyle auch leisten kann?
“Die Gebäudestruktur lässt verschiedenste Lebensmodelle zu und deckt somit einen großen Teil der Bedürfnisse ab”, antwortet der Architekt. Einerseits biete die modulare Bauweise große Flexibilität, was den Raum vielfältig gestaltbar mache – sei es als Wohnung, Arbeitsplatz oder hybrider Ort. Andererseits sei dieses Modell in unterschiedlichsten Umgebungen umsetzbar: Haimerl und sein Team haben es nicht nur in urbanen, sondern bereits auch in vorstädtischen und ländlichen Gebieten erfolgreich getestet. Das Konzept sei zwar nicht universell, habe aber eine enorme Bandbreite.
Ein Zeichen des Aufbruchs
Dass der Grundstein dieses neuen Modells nun in der Landeshauptstadt gelegt wird, sei letztendlich Zufall, sagt Haimerl. In jedem Fall freue er sich als Münchner, dass dieses Projekt gerade hier sein Zuhause gefunden hat. “München war immer schon eine Kunst- und Kulturstadt, die über die Jahrhunderte eine Vorreiterrolle gespielt hat – von König Ludwig I. über die Olympiaanlage und revolutionäre Wohnformen wie von Steidle in der Genter Straße”, meint der Architekt. “Die Stadt ist dieser Kulturtradition von Wohnen verpflichtet.”
Insgesamt müsse das Bauen in Deutschland wieder kreativer und experimentierfreudiger werden. Mit seinem Projekt gehe es auch um einen positiven Entwurf der Zukunft jenseits der “Hühnerställe” des konventionellen Wohnungsbaus, wie er sie nennt. Haimerl fordert einen umfassenden Aufbruch – sei es in der Form der Gebäude, der Art des Zusammenlebens oder der Kommunikation zwischen den Bewohner*innen. “Es reicht nicht, einzelne Punkte zu verbessern”, so Peter Haimerl, “es muss fast alles neu gedacht werden.”
Titelbild: © Peter Haimerl .Architektur