Einsamer Mann in Lokal
Aktuell, Leben, Stadt

Angst und Geld falsch verteilt – das Dilemma der Gastronomie in der Pandemie

Thomas Stöppler

Am Abend vor dem zweiten Lockdown herrscht eine andere Stimmung als am 14. März, dem Samstag vor dem ersten Lockdown. Genau wie damals ist es der letzte Abend für mindestens vier Wochen, vermutlich aber länger. Im März war die Stimmung angespannt, ängstlich. Keiner wusste irgendwas, ein wenig Endzeitatmosphäre, zu der auch die Polizei ihren Beitrag leistete. Jetzt fühlt es sich an wie traurige Routine. Ein Mann an der Bar erzählt ganz ohne zu jammern, dass ihm Körperlichkeit fehlt, dass er seine Freunde nicht mehr umarmen kann. Dabei redet er nicht über Maßnahmen oder über Markus Söder, er erzählt das einfach. Ein paar Meter weiter sitzen zwei italienische Studentinnen, die ganz froh sind in München zu sein. Besser als in Mailand, aus dessen Umgebung beide stammen, auch wenn die Familie fehlt. Es sind viele Geschichten, die man von diesem Abend, der dank Sperrstunde nur drei Stunden lang ist, erzählen kann.

Immerhin einer ist gut drauf

An einem Ort, wo sonst Menschen feiern, Liebespaare sich kennen lernen, manchmal getanzt, laut gelacht und leise geweint wird, ist es jetzt erstaunlich still. So richtig gute Laune hat nur einer. Der Wirt. „Das Einzige, was gerade doof ist, ist dass ich nicht an den Gardasee fahren kann“, sagt er. Es sei einfach zu kalt. Normalerweise gehören die meisten Gastronom*innen eher zur der Kategorie Mensch, die gerne jammert. Ein befreundeter Restaurantbetreiber hat mir mal gesagt, dass alle richtig erfolgreichen Gastronom*innen immer übers Geld heulen – oder übers Personal. Zur Veranschaulichung muss man nur mal bei den Hahn-Brüdern nachfragen, wieviel Pacht sie für ihre Objekte zahlen. Heute an diesem Samstag heult das Personal und nicht der Wirt. Dem Wirt nämlich stehen nun 70 Prozent seines letztjährigen Umsatzes zu. Das ist mehr als er letztes Jahr verdient hat, weil er keinen Wareneinsatz hat und kein Personal bezahlen muss.

An einem Tisch sitzt Tom. Tom kriegt kein Corona mehr, er hatte es schon. Beatmungsgeräte, künstliches Koma. Die Ärzte hatten seiner Frau schon gesagt, sie solle seine Angelegenheiten regeln. Nach dem Koma bekommt er in der Folge zwei Herzinfarkte, dabei ist der Mann noch keine 50, Nichtraucher und sportlich.

Hartz IV statt Trinkgeld

Das Personal hat Kurzarbeit, also zahlt die Allgemeinheit. Oder es ist arbeitslos – Gastronomie ist immer noch Minijobber-Territorium. Schneller entlassen als einen Minijobber kann man niemanden. Da reicht nämlich eine mündliche Kündigung – geltend ab sofort. Aber auch sonst: Ein Kellner, der keine Schicht hat, verdient nichts – auch ganz ohne Kündigung. Das bedeutet, dass ein paar tausend Menschen in München gerade nichts verdienen und sich mit Hartz IV auseinandersetzen müssen.

Genauso geschenkt bekommen haben die Wirte die Mehrwertsteuersenkung. 7 statt 19 Prozent klingt nicht nach viel, summiert sich aber gewaltig. Bei einem Umsatz von 2000 Euro am Tag, das macht ein kleines bis mittleres Restaurant ohne größere Schwierigkeiten, macht das einen Unterschied von 240 Euro. Hochgerechnet aufs Jahr sind das über 70.000 Euro. Klar, die Wirte haben das im Augenblick oft nötig. Schließlich haben sie weniger Platz und eben bereits einige Wochen Schließzeit hinter sich.

Ein schöner Sommer für manche

Tom hat den ersten Lockdown mehr oder weniger im Koma verbracht. Oder dann in der Reha. Nach den Herzinfarkten war er da auch im Sommer viel. Für ihn muss dieser Abend besonders surreal wirken, weil von Angst um die eigene Gesundheit, das eigene Leben hier nichts zu spüren ist. Jeder kennt irgendjemanden der Corona hatte – meistens symptomfrei. Angstfrei zu sein, heiße nicht zu leugnen oder zu relativieren, meint Tom. Er gehe ja auch raus und trinke hier ein Bier, obwohl er auch nicht wisse, ob und wie lange er immun ist.

So mancher Wirt wird den Corona-Sommer vielleicht gar nicht so schlimm in Erinnerung haben: Wer eine große Fläche draußen hat, dem ging es hervorragend. Schließlich war im Sommer alles draußen voll. Immer. Jetzt im grauen, kalten November wäre es eh schlecht gelaufen. Drinnen ist halt weniger Platz als letztes Jahr. Weswegen so mancher Wirt auch schon im Sommer am Personal sparen konnte. Wenn drinnen keiner sitzt, braucht es dort auch keinen Kellner.

Auch ohne Miete hat man kosten

Für die Lokale, die wenige oder gar keine Plätze draußen haben – ganz zu schweigen von Clubs – stimmt das alles natürlich nicht. Aber man hätte vielleicht mal schauen sollen, welche Blumen vertrocknen, bevor man zur Gießkanne greift. Der Nebeneffekt ist natürlich der, dass jetzt Lokale überleben, die eigentlich jetzt auch ohne Corona pleite wären. Es ist ja nicht so, dass es in München zu wenig Gastronomie gäbe. Es gibt vor allem zu viel Gleiches.

Komplett hinüber ist wohl inzwischen die Veranstaltungsbranche. Wer keine eigene Spielstätte hat, wurde bisher quasi übersehen. Ausnahmen gibt es natürlich, aber auch wer vom Sommer in der Stadt profitierte, steht jetzt mit leeren Händen da. Kleine Unternehmen wie Caterer liefern jetzt Essensboxen nach Hause – allerdings ohne die Infrastruktur eines Pizzaservices. Damit ist aber niemand überlebensfähig, es geht wohl nur darum, nicht vergessen zu werden.

Da wäre die Gießkanne das adäquate Mittel gewesen. Jetzt soll es nochmal Hilfen geben. Für viele ist das längst zu spät. Die Inhaber*innen von Kulturbetrieben und die vielen Kellner*innen, Barkeeper*innen, Küchenhilfen, Türsteher*innen und Taxifahrer*innen fahren jetzt gerade wohl eher nicht in den Urlaub – aber nicht weil es am Gardasee zu kalt ist.


Foto: Christie Kim on Unsplash

Tags:
No Comments

Post A Comment

Simple Share Buttons
Simple Share Buttons