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Camp der Obdachlosen unter der Reichenbachbrücke geräumt, aber die Probleme bleiben

Benjamin Brown

Mit dem Wintereinbruch und langen, kalten Nächten beginnt die Krisenzeit für Obdachlose und jene, die sie unterstützen wollen. Bundesweit werden Programme ins Leben gerufen, um Krankheit und Erfrierungen zu verhindern.

Eine traurige Statistik zeigt auf, wie wichtig die Arbeit zahlreicher Freiwilliger aber auch städtischen Stellen ist: seit der Wiedervereinigung sind in Deutschland über 300 Obdachlose in der Kälte gestorben.

Hotspot Isarufer

Einer der bekanntesten Orte, an denen in München Obdachlose lebten, ist das Isarufer unter der Reichenbachbrücke. Dieses “Camp” hat die Stadt München am Morgen des Donnerstags, den 29. November 2018 geräumt. Eine entsprechende Ankündigung war am 14. November unter der Brücke angebracht worden und wurde vom Sozialreferat der Landeshauptstadt gegenüber MUCBOOK bestätigt.

Man habe das “Lager” räumen lassen, um die Obdachlosen vor Ort zu schützen: Vor der Kälte, möglichem Isar-Hochwasser und der Brandgefahr, die insbesondere im Winter durch das Kochen und Wärmen mit offener Flamme gesteigert sei, so Edith Petry, Sprecherin des Sozialreferats im Gespräch mit MUCBOOK.

Die angesprochene Brandgefahr war besonders in den zwei Wochen nach der Ankündigung der Räumung spürbar gewesen. Zweimal hatte es unter der Reichenbachbrücke gebrannt. Obwohl der Zeitpunkt der Brände Fragen aufwirft, gehen Feuerwehr und Polizei bisher nicht von Brandstiftung aus.

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Und jetzt: Notunterkunft?

Die ehemaligen Bewohner des Camps werden nun aufgefordert, Notunterkünfte oder den Kälteschutz in der Bayernkaserne aufzusuchen, erklärt Petry. Dort stünden neben Betten und Duschen auch Lebensmittel und eine medizinische Versorgung zur Verfügung.

Außer Acht läßt das Sozialreferat hierbei, dass Notunterkünfte in der Regel nur denjenigen zur Verfügung stehen, die in Deutschland Sozialleistungen beziehen können. Hierfür müssen sie seit fünf Jahren in Deutschland gemeldet sein und arbeiten.

Vielen Obdachlosen in München, die aus Bulgarien und anderen osteuropäischen Ländern kommen, bleibt der Zugang zu den Notunterkünften somit verwehrt. Um einen Platz zu bekommen, müssen Obdachlose ohne deutsche Staatsangehörigkeit mit Dokumenten beweisen, dass sie keinen Wohnsitz in ihrem Heimatland haben. “Das kann zum Beispiel die Kündigung des vorherigen Mieters sein. Zudem müssen die Obdachlosen aber auch zeigen, dass sie in ihrem Heimatland nicht bei Familien oder Freunden unterkommen können. Wenn jemand beispielsweise bei einer Tante gewohnt hat, muss diese schriftlich bestätigen, dass die betroffene Person nicht mehr bei ihr unterkommen kann”, so Petry.

Dass das Auftreiben der Dokumente in der Realität häufig schwer bis unmöglich ist, liegt auch an der Tatsache, dass die entsprechenden Konsulate in München häufig keinerlei Anstalten machen würden, bei der Beschaffung der nötigen Bestätigungen zu assistieren, wie zahlreiche Betroffene erklären.

“Wir werden später wiederkommen”

Diejenigen Obdachlosen, die bisher unter der Reichenbachbrücke gelebt und bei den Feuern nahezu all ihr Eigentum verloren hatten, möchten bleiben. Gegenüber der Süddeutschen Zeitung erklärte einer der Betroffenen: “Wir werden später wiederkommen”. Das Sozialreferat möchte allerdings dafür sorgen, dass “es dort nachhaltig geräumt bleibt”. Man werde regelmäßige Kontrollen durchführen und das Camp zur Not erneut räumen lassen, so Petry. Wildes Campieren sei in der der Stadt grundsätzlich nicht geduldet, die Stadt möchte verhindern, “dass sich diese Lager verfestigen”. Man sehe zudem die Verantwortung gegenüber Anwohnern, die sich im Bereich der Reichenbachbrücke “nicht mehr auf die Straße trauen, weil sie Angst vor alkoholisierten Obdachlosen haben”.

Nun fordere man alle Obdachlosen in München auf, den sogenannten “Kälteschutz” aufzusuchen. Anders als die Notunterkünfte, in denen Obdachlosen längerfristige Möglichkeiten der Bleibe geboten würde, ist der Kälteschutz für alle zugänglich. Unabhängig von Nationalität und Meldestatus.

Doch die Obdachlosen, die bis Donnerstagmorgen unter der Reichenbachbrücke lebten, möchten diese Möglichkeit nicht wahrnehmen. Dass sie an ihr Quartier unter der Brücke zurückkehren möchten, liege an den Umständen in den Kälteschutzeinrichtungen, wie die Betroffenen in einem Papier mit zahlreichen Forderungen an die Stadt erklärten. Zudem protestierten sie nach der Räumung für angemessene Wohnmöglichkeiten.

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Die Forderungen der Obdachlosen

Erklärung von obdachlosen Personen zur angekündigten Räumung ihrer Wohnstätten in München am 29.11.2018

Wir fordern die Landeshauptstadt auf, die Wohnstätten von obdachlosen Menschen in München nicht zu räumen.

Wir wohnen derzeit lieber unter der Reichenbachbrücke, als dass wir in der Kälteschutzeinrichtung in der Bayernkaserne übernachten. In der Bayernkaserne müssen wir jeden Morgen das Gelände verlassen und dürfen uns tagsüber dort nicht aufhalten. Dort können wir auch unsere Sachen nicht aufbewahren, weil es keine Schränke oder Schließfächer gibt. Wir haben keine Kochmöglichkeiten. Wir können uns nicht aussuchen, mit wem wir in einem Zimmer schlafen. Oft schlafen mehrere Personen in einem Raum, die ganz unterschiedliche Interessen und Gewohnheiten haben, so dass es oft nicht möglich ist, zur Ruhe zu kommen. Es gibt keinerlei Privatsphäre. Regelmäßig finden in der Früh am Ausgang des Kälteschutzes große Polizeikontrollen statt, denen wir nicht ausweichen können, wenn wir dort geschlafen haben. Immer wieder werden dabei Personen verhaftet (z.B. wenn wegen mehrmaliger Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel ohne gültiges Ticket ein Haftbefehl vorliegt), so dass manche Personen den Kälteschutz nicht in Anspruch nehmen, weil sie Angst haben, verhaftet zu werden.

Neben dem Stopp der Räumungsvorbereitungen fordern wir deshalb eine menschenwürdige Unterbringung aller (unfreiwillig) Obdachlosen. Dies heißt für uns unter anderem:

– uns ganztägig und ganzjährig in den Räumlichkeiten aufhalten zu können

– Privateigentum sicher aufbewahren zu können

– Privatsphäre zu haben

– eine Kochmöglichkeit zu haben

– Zimmernachbarn wählen zu können

– dort keine Angst vor Polizeikontrollen haben zu müssen

München, Reichenbachbrücke, 25.11.2018

Fest angestellt und trotzdem obdachlos

Das Fehlen von Spinden ist besonders brisant, da viele der Obdachlosen am sogenannten “Arbeiterstrich” an der Ecke Goethe- Landwehrstraße im Bahnhofsviertel Geld verdienen. Einige sind sogar fest angestellt, verdienen dabei allerdings nicht genug, um sich eine Wohnung in München leisten zu können. In den Einrichtungen der Stadt befürchten sie Diebstahl durch andere Obdachlose. Das Sozialreferat bestätigt, dass im Sommer 2019 Spinde im Kälteschutz eingerichtet werden. Mangelnder Wille oder bürokratische Hürden sorgen dafür, dass dieses Problem nicht schon diesen Winter gelöst wird – und Menschen somit den Winter auf der Straße verbringen.

Ein Angebot an den Bedürfnissen der Betroffenen vorbei sieht Petry dennoch nicht: “Fakt ist, dass die Befindlichkeiten der Betroffenen unterschiedlich sind. Anstatt mit Fremden im selben Zimmer zu wohnen, haben manche lieber eine ‘Ersatzwohnung’ auf der Straße, wo sie draußen selbst bestimmen können, mit wem und wie sie zusammenleben”.

Polizeikontrollen sind nicht bekannt

Die Polizeikontrollen, die in der Forderung der Obdachlosen kritisiert werden, kenne sie allerdings nicht. Bei konkreten Verdachtsfällen würden selbstverständlich Kontrollen durchgeführt: “So wie bei jeder anderen verdächtigen Person auch”. Verdachtsunabhängige Kontrollen kämen hingegen nicht vor. Dass die Obdachlosen der Reichenbachbrücke  dieses Problem ansprechen, zeigt aber, dass die Betroffenen dies anders wahrnehmen.

Das Ziel des Sozialreferats ist laut Petry eindeutig: “Wir wollen allen helfen. Wir wollen, dass kein Mensch in München auf der Straße leben muss”. Solange das Angebot der Notunterkünfte und des Kälteschutzes (bei dem Obdachlose nur zwischen 17 und 9 Uhr Unterschlupf finden können), auf Ablehnung durch Obdachlose stoßen und auf die Forderungen dieser nicht eingegangen wird, wird es unmöglich, dieses Ziel zu erreichen.

Es bleibt zu hoffen, dass die tragischen Folgen dieses Handelns keine weiteren Kältetoten fordern.


Beitragsbild: © Larissa Kellerer

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