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„Das Geheimnis der Spontanität“ – was Fast Food Theater ist und für Dich sein kann

Fiona Rachel Fischer

Im tiefen russischen Winter, ein verzweifeltes Ehepaar, das sich nichts mehr wünscht, als ein Kind – und das dafür eine Lösung hat: ein altes Fruchtbarkeitsritual, das oftmals den Preis eines Lebens fordert: Das Bärenreiten.

Istváns und Irinas Geschichte ist ebenso einzigartig, wie es durch das ständige Switchen von Deutsch auf spontanes russisch klingendes Kauderwelsch witzig ist. Einzigartig deshalb, weil die einzige Requisite ein Stuhl und der Stoff der Phantasie ist. Und weil sie innerhalb von wenigen Sekunden zusammen mit dem Publikum ausgedacht und improvisiert wurde.

Lachen, Speisen, steppender Bär

Der Wirtsraum des Schlachthofs ist gefüllt von dem Gelächter des Publikums, leckere Speisen stehen auf den Tischen und auf der Bühne steppt der Bär. Das Fast Food Theater bietet alles, was es für einen gelungenen Abend braucht. Dafür ist nicht mehr nötig als ein Keyboard mit Musiker, ein gefüllter Zuschauerraum, ein Stuhl und zwei Schauspieler*innen. Alles andere wird aus der Luft mit der Fantasie kreiert und in der Spontanität funktioniert die Vorstellungskraft selbst als Requisite. Aus dem Nichts entstehen Geschichten und so auch ihre Gegenstände. Die Kreativität, aber auch der pure Spaß am Spiel mit dem Spontanen reißt dabei die Zuschauer*innen mit, die an den Lippen der Schauspieler*innen hängen.

©Hilda Lobinger

Viele deftige kleine Happen

Fast Food Theater, das sind viele kleine deftige Happen an Schauspielgeschick. Der Name passt – und das schon seit der Gründung 1992 in Studententagen. Die Idee für diese Bezeichnung stammt von einer Sekretärin, die von den Studierenden eingeladen worden war. Niemand konnte damals ahnen, was sich aus dem Experiment „Improtheater“ entwickeln würde, vor allem nicht, als die ältere Dame das Konzept als „Fast Food“ im Vergleich zu einem feinen Dreigangmenü eines inszenierten Theaterstücks bezeichnete. Spontan übernahmen die jungen Schauspieler*innen den amüsanten Namen und – wie es schließlich im Improvisationstheater auch üblich ist – so entwickelte diese Aus-dem-Bauch-heraus-Spontanität eine unvorhergesehene Eigendynamik. Bald war der Name in Spielplänen zu lesen, denn die Idee stieß auf Erfolg und belebte den früher theatertoten Montag.

Tausende durchspielte Montage später

Mittlerweile, tausende von durchspielten Montagen später, ist der Name in München ein Begriff für Improvisationstheater geworden. Die Münchner Pioniere für diese Theaterform haben den Zauber der Spontanität in die Bayerische Hauptstadt gebracht und seitdem zu einer wahren Zaubershow weiterentwickelt.

©Volker Derlath

Nicht nur ein leichter Bissen

Zwei Menschen bei einer solchen schauspielerischen Interaktion auf der Bühne zu beobachten, ist nicht nur unterhaltsam, sondern auch wahnsinnig faszinierend. Aus den Zutaten, die sie von den Zuschauer*innen in Form von Stichwörtern oder Anweisungen bekommen, verarbeiten sie zu so viel mehr als „nur“ Fast Food.

Dabei geht es nicht nur um erfreuliche Highlights wie Dialekte, Akzente, improvisierte Gesangseinlagen und gesellschaftlich brisante Themen. Da ist mehr: Die Schnelligkeit, mit der sie neue Szenen entwickeln. Die Kreativität, mit deren Hilfe sie immer wieder aufs Neue ganz besondere Geschichten erzählen. Das Augenzwinkern, mit dem sie sich Vorlagen zuspielen oder sich auch gegenseitig ein wenig herausfordern. Die Dynamik auf der Bühne, entwickelt in dieser spielerischen Kommunikation, erfasst auch das Publikum und reisst es von einem Augenblick in den nächsten mit.

Heiß gekocht und heiß verzehrt

Was hier zwanglos und fließend wirkt, ist in Wirklichkeit nicht so einfach und auch Improvisation kann und muss man proben. Laut Andreas Wolf, einem der Gründer des Fast Food Theaters, ist es besonders wichtig in dem Prozess, sich für die Spontanität der Improvisation zu öffnen, dass man die Bewertung für den Moment ganz hintenan stellt. Das sei in unserer Wertungsgesellschaft besonders schwer. Doch es sei von großer Bedeutung, den mentalen Fokus von solchen Ansprüchen und Unsicherheiten weg und stattdessen nach außen zu richten. Man muss sich auf die Situation einlassen und Vertrauen in sich und den Partner haben, um improvisieren zu können: „Die Dinge nicht bewerten, den Partner zu hundert Prozent annehmen und sich gar nicht so sehr um sich selbst zu kümmern, sondern um das, was die Situation braucht: das ist ein Schalter, der leicht klingt, aber der trotzdem trainiert werden muss, damit man ihn umlegen und den Kanal öffnen kann, durch den man aus seiner eigenen Kreativität schöpft.“

©Hilda Lobinger

Geheimrezepte des Fast Food-Moments

Das ist auch einer der wichtigsten Tricks beim Improvisieren. „Wer sagt mir denn, dass meine Idee nicht zu dem passt, was mein Partner gerade auf einer Vorlage aufgebaut hat?“, sagt dazu Wolf. Das sei in der Unmittelbarkeit der Spielsituation ohnehin kaum abschätzbar. Was zählt, ist das, was daraus gemeinsam erwachsen kann. „Spontanität heißt, dass die Dinge im Fluss sind“ und improvisieren bedeutet im Folgeschluss, dem spontanen Impuls zu folgen und gemeinsam mit dem Partner in jedem nächsten Moment weiter an der Geschichte zu arbeiten, die im Begriff des Entstehens ist. Fertig ist sie erst, wenn die Szene für beendet erklärt wird.

„Das Besondere, also die Einmaligkeit des Augenblicks, ist gleichzeitig auch die Schwierigkeit.“

Andreas Wolf, Gründer von Fast Food Theater

In dieser völligen Akzeptanz des Zufalls liegt selbstverständlich auch ein Risiko: „Wir wissen nicht, was passiert“, sagen auch die Schauspieler vor dem Beginn ihrer Show auf der Bühne. Jede gespielte Sequenz ist einzigartig und kann kaum wiederholt werden. Das ist Charme und Schande dieser Technik. Die spontane Eingebung des Augenblicks findet sich tatsächlich nur in diesem Moment – umso wertvoller für jeden Zuschauer.

Eine gemeinsame Mahlzeit zum Verdauen

„Euer Wille ist uns Gesetz.“

Die Schauspieler des Fast Food Theaters

Das Publikum nimmt eine ganz besondere Rolle im Improvisationstheater ein. Durch Einwürfe, Inspirationsimpulse, Anweisungen und Vorgaben kann es jeder Show seinen eigenen Stempel aufdrücken und befindet sich so mittendrin. Auf diese Weise rezipiert man ganz anders, was sich im Affekt des Augenblick auf der Bühne abspielt. „Dann lehnt man sich nicht zurück und bildet sich nicht ein Urteil nach den ersten fünf Minuten“, sagt Wolf, denn Improvisationstheater ist charakteristisch unberechenbar. Durch den interaktiven Umgang mit dem Publikum entsteht ein Gefühl der Gemeinsamkeit und der Zuschauer beginnt, sich selbst gedanklich mit den aktuellen Herausforderungen zu beschäftigen, sich zu fragen: „Was würde ich jetzt tun?“.

©Hilda Lobinger

In der Fast Food Küche lernen

Diese Frage kann dank Fast Food jeder beantworten lernen. Denn neben den montäglichen Shows bietet das Theater seit 1994 Workshops und Seminare rund um das breite Kompetenzspektrum von Improvisationstheater an. Auf diese Weise kann man die Technik als solche verstehen und respektieren lernen – oder auch etwas für seinen eigenen Alltag mitnehmen. Die Fähigkeit zu improvisieren, also Vertrauen in sich zu haben und unmittelbar kreative Lösungen für bestimmte Situationen zu finden, kommt einem im Leben oft zugute.

Das hat auch die Wirtschaft erkannt: neben der Möglichkeit, Konzern-bezogene Shows für verschiedenste Anlässe zu buchen, tragen die Improvisationstechniken auch in beruflich weiterbildenden Workshops und Coachings Früchte. Die eigene Wirkung einzuschätzen und Kreativität kurzfristig abzurufen sind auch im Arbeitsleben geschätzte Kompetenzen.

©Hilda Lobinger

Ein Schmankerl für den besonderen Abend

All das steckt im Improvisationstheater: das, was man Montagabends bei einer herzhaften Mahlzeit auf der Bühne sehen kann.

Ausgelassen Lachen, die Schönheit von menschlicher Interaktion und die unberechenbare Komik der Spontanität erleben – das ist es, was Fast Food Theater zu bieten hat. Vor allem aber: aus dem Alltag in den Augenblick entführt zu werden.

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Eine kleine Kostprobe des Fast Food-Theaters

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