Maxvorstadt Stadtspaziergang
Aktuell, Hidden Places, Nachhaltigkeit

Was du bisher nicht über die Maxvorstadt wusstest – ein Spaziergang

Du denkst, dass du München sowieso schon in und auswendig kennst, dann ist diese Reihe genau das Richtige für dich, denn es gibt immer etwas zu entdecken. An manchen Häusern laufen wir super oft vorbei, ohne das sie uns auffallen und wieder andere Orte liegen gleich nebenan, aber wir sind einfach nie um die Ecke gebogen. So auch bei einem Spaziergang durch die Maxvorstadt.

Heute zeigen wir dir eine Maxvorstadt, die du bisher nicht kanntest.
Als Erstes geht es die Schellingstraße entlang in Richtung Türkenstraße zum Alten Simpl.

Die Schwabinger Bohème im Alten Simpl

Ein Wirtshaus mit einer langen Geschichte, in dem viele Persönlichkeiten ein und aus gingen. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war es Treffpunkt für Literat*innen und Kabarettist*innen aus der Schwabinger Bohème. Käthe Kobus eröffnete dieses urbayerische Lokal 1903 und machte es unter dem Namen „Simplicissimus“ zum Kabarettlokal. Hier zogen im Laufe der Jahre, als Stammgäste, Karl Valentin und Joachim Ringelnatz ein. Käthe Kobus hat sie auf die Bühne gebracht.

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Der Simplicissimus, das Satireblatt, ist von hier aus zur Berühmtheit gelangt. Wir begegnen Franz Wedekind und Ludwig Thoma, die für diese Zeitschrift geschrieben haben. Sie sitzen an einem der langen bayerischen Wirthaustische und amüsieren sich königlich über das Weltgeschehen in und um München herum. Auch unser Freund Oskar Maria Graf ist da. Er sitzt zusammen mit Ricarda Huch ein paar Tische weiter. Sie waren nur ein Teil der Persönlichkeiten, die sich hier trafen. Auch für die Dichter der Schwabinger Bohème war das Lokal ein beliebter Treffpunkt, denn hier konnten sie einem literarisch interessierten Publikum neue Texte vorstellen.

Mit Beginn der Nazizeit hat die Schwabinger Bohème jedoch ein jähes Ende gefunden. Die wüsten braunen Horden hatten wenig bis gar keinen Sinn für Satire und noch weniger Sinn für Humor. Die Wirtschaft wurde ihrer illustren Besucher*innen beraubt. Erst 1961 erfuhr der Alte Simpel, wie er inzwischen getauft worden war, wieder einen Höhepunkt:

Duke Ellington spielte am Flügel:

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Das Lokal war damit wieder populär und hat Musiker*innen, Theater- und Filmleute sowie Journalist*innen angezogen. Ob du es glaubst oder nicht: Robert De Niro war auch schon da.

Den Alten Simpl gibt es, als Teil der Münchner Geschichte, immer noch. Erstaunlicherweise hat dieses Lokal aller Veränderung widerstanden und sich seinen ursprünglichen Charme erhalten.

Größenwahn oder Café Stefanie

Es gab aber auch noch einen anderen Treffpunkt: DER Künstlertreff war jedoch an der Ecke Amalien/Theresienstraße. Alles was in der Malerei und Literatur von 1886 bis 1930 Rang und Name hatte, Lion Feuchtwanger, Bert Brecht, Franz Marc, Wassily Kandinsky, Thomas und Heinrich Mann und nicht zuletzt die Reventlow und Mühsam, traf sich in dem Café, das den Beinamen “Größenwahn“ trug. Tatsächlich hieß dieser Treffpunkt Café Stefanie.

Der Schelling Salon

Gleich in der Nähe ist der Schelling-Salon, ein Wiener Lokal mit Billard mitten in München. Also rein in den „Salon“!

Der Salon hat in einigen literarischen Werken mitgespielt. Nicht Geringere als Bert Brecht, der große Aufklärer, und Wassily Kandinsky, der Mitbegründer des Blauen Reiters, sowie Rainer Maria Rilke, Ödön von Horvath und Wladimir Iljitsch Lenin haben sich hier getroffen. Und auch Adolf Hitler ist hier ein- und ausgegangen, bis er wegen unbezahlter Zeche Hausverbot bekam.

Die Akademie der bildenden Künste

„Wohin jetzt?“ Wie wäre es mit der Münchner Kunstakademie? Hierzu machen wir einen großen Sprung in die 68er Jahre und ich zitiere aus dem taz- Artikel von Luitgard Koch:

“Der Landtag wolle beschließen: die Staatsregierung wird ersucht, die Akademie der Bildenden Künste in München sofort zu schließen, lautete ein Antrag der CSU, unterstützt wurde er auch von 16 SPDlern.“ „Die skandalösen und anarchistischen Zustände, die derzeit dort herrschen, so der Kultusbeamte Merkt, sollten damit beendet werden.“

Die Wandelgänge dieser ehrwürdigen Einrichtung waren teilweise sogar bis zur Decke mit Farbkleksen, Sowjetsternen und gotteslästerlichem Inhalt bedeckt. Auch und vor allem in dieser Kunstakademie, vis à vis vom Siegestor revoltierten die Student*innen gegen den „Mief unter den Talaren“. Das mit guten Grund: Zwischen 1852 bis 1920 wurden keine Frauen mehr zum Studium zugelassen. Eine künstlerische Ausbildung konnten angehende Künstlerinnen lediglich an Privatschulen oder dem neu gegründeten Münchner Künstlerinnenverein erhalten. Erst ab dem Wintersemester 1920/1921 wurden Frauen zu den gleichen Bedingungen wie Männer zum Studium zugelassen. Das ist der Novemberrevolution von 1918/1919 zu danken, bei der sich das Frauenwahlrecht durchgesetzt hat.

Heute wird das Kunstareal wieder von Studierenden aus allen Kulturkreisen besucht; männlichen sowie weiblichen. Das finden wir gut so. Weil uns die Benachteiligung von Frauen immer noch empört, machen wir, als Ausgleich, einen kleinen Schlenker in die Von-der-Tann-Straße 15.

Für mehr Frauenrechte im Atelier Elvira

Wir stellen ein Kleinod vor, dass es tatsächlich gegeben hat: Das Atelier Elvira. Es wurde von Anita Augspurg und Sophia Goudstikker als Fotostudio in München gegründet. Neben ihrer Arbeit als Fotografinnen setzten sich beide für Frauenrechte ein. Bereits im Jahr 1894 hatte Goudstikker die Gesellschaft zur Förderung geistiger Interessen der Frau, den späteren Verein für Fraueninteressen, gegründet. Sophia Goudstikker war Vorsitzende der in München gegründeten Rechtsauskunftsstelle für Frauen. Obwohl sie nie Jura studiert hatte, wurde sie 1908 als Verteidigerin zugelassen. Zu Ihrem Bekanntenkreis zählten auch einige andere Aktivistinnen wie Ricarda Huch, der wir ja heute schon einmal im Alten Simpl begegnet sind.

Ein Ausschnitt aus der Biographie von Anita Augspurg

Sie war die erste promovierte Juristin Deutschlands und Aktivistin der Frauenbewegung. Als in Berlin 1896 die Verabschiedung des BGB anstand, hat sie sich, dank ihrer juristischen Kenntnisse und ihrer herausragenden Fähigkeiten als Rednerin, zur Protagonistin einer breit angelegten Kampagne gegen das BGB gemacht. Im Mittelpunkt ihrer Kritik stand die Benachteiligung der Frauen in der Ehe: Den Ehefrauen sollte das Recht an ihrem in die Ehe eingebrachten Vermögen genommen werden sowie die Entscheidungsbefugnis bei der Kindererziehung. Auch wenn sich am Eherecht substanziell noch nichts änderte, so war der Frauenbewegung ihre erste große politische Kampagne gelungen – und das in einer Zeit, in der Frauen die politische Betätigung in großen Teilen Deutschlands noch verboten war.

Votes for Women:

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Die Philharmonie im Kaim-Saal

Auf dem Weg zur von-der-Tann-Straße kommen wir an der Türkenstraße 5 vorbei. In der Türkenstraße 5 gab es den Kaim-Saal. Diese Halle war eine der ersten Spielstätten der heutigen Münchner Philharmoniker, die von Franz Kaim gegründet wurden: Der berühmte Geiger Yehudi Menuhin hat im Alter von 13 Jahren hier Bach gespielt. Es soll sein allererstes Konzert gewesen sein.

Ein kleiner Eindruck gefällig:

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Obwohl ich in München geboren bin, bin ich immer wieder aufs Neue überrascht, wie wenig ich doch bisher über meine Heimatstadt wusste.

Wir sind den Leuten, denen wir heute begegnet sind, sehr verbunden und haben die Vergangenheit wieder aufleben lassen, damit nie vergessen wird, was wir ihnen zu danken haben: Die Freiheit des Denkens und Handels. Wir hoffen, dass das auch für dich ein hoher Wert ist.

Nun schreiten wir durch das Siegestor und sehen uns beim nächsten Mal in Schwabing.


Titelbild: Max Kobus

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