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Meine Halte: Giesinger Bahnhof – Urbanes Paradies…wait, what?

Carina Eckl

Goldene Abendlichter spiegeln sich in den Regenpfützen, bunte Herbstblätter bedecken den Betonboden und der Mond steht hell am Himmel. Ich steige in den Bus ein. Rote und grüne Lichter verschwimmen zusammen mit den Regentropfen, die am Fenster hinabfließen. Ich schaue hinaus, sehe die Geschäfte, die Menschen, die wie Ameisen hin und her rennen, höre ihre gedämpften Stimmen, rieche den Geruch von warmer Käsebreze und seufze wohlig. Wo ich wohl gerade bin? Im Paradies? Nein. Ich sitze am Giesinger Bahnhof in einem Bus.

Nach meinem Abi-Abschluss war klar, dass ich nach München ziehen würde. Diese Stadt kam mir immer schon ein bisschen wie ein Relikt aus einem Märchen vor. Alte, herrschaftliche Gebäude, weitläufige Schlossparks und saubere Straßen. Eine weiße Universitätshalle mit Kuppel und draußen steht ein Eulen-Pavillon, der ein bisschen aussieht, als hätte ihn jemand aus Hogwarts geklaut.

Hard Love

Wie könnte man diese Stadt nicht lieben? Aber wie das in manchen Beziehungen so ist, habe ich nicht an meiner Liebe für München, sondern an ihrer Liebe für mich gezweifelt. In den sechs Jahren, die ich hier wohne, musste ich mehrmals umziehen. Ich habe in Bogenhausen gewohnt, in Oberschleißheim (dieser Ort kam mir vor wie der spießbürgerliche Vorhof zur Hölle), in Giesing und wohne jetzt im Westend, bin aber die meiste Zeit in Giesing.

Ich fühle mich hier einfach am meisten Zuhause. Ich vermisse den Giesinger Bahnhof, der für mich nicht zu einem Assiviertel oder einem Möchtegern-Kreuzberg gehört, sondern Heimat ist. Es gibt dort einen Bioladen, einen Drogeriemarkt, U-Bahn, S-Bahn, Busse, Trams. Was brauche ich mehr, als die Möglichkeit zu haben, überall hinzukommen und mich gleichzeitig hier für immer einzunisten?

Käsebrezen-Kulinarik

Nachdem ich meine Landkind-Vorurteile gegenüber U-Bahn-Bäckereien abgelegt habe – ich meine, das Konzept ist schon irgendwie seltsam, dass man Essen im stinkigen Untergrund kauft – fand ich die beste, weiche, käsige Breze beim Giesinger U-Bahn-Bäcker. Ich weiß, man muss vorsichtig sein, etwas als die beste Käsebreze zu deklarieren, aber für mich ist sie das. Ich nehme die Gefahr in Kauf, ins Kreuzfeuer der wütenden Hater-Kommentare von Käsebrezen-Fans zu gerate, um ihr meine Liebe zu gestehen.

Mit dem Fahrrad kann ich mir weiche, fluffige Pancakes von Emmi‘s Kitchen holen oder das beste vegane, vietnamesische Essen meines Lebens vom Hippie Chay. Es gibt in Giesing sogar eine Zimtschnecken-Fabrik – allein dieser Duft schreit doch Zuhause. Im Shotgun Sister gibt es veganen Kuchen to go, auf den man auch in Corona-Zeiten nicht verzichten muss. Ist Giesing das Schlaraffenland? Aber mit Sicherheit.

Giesing is Dahoam

Natürlich bin ich leicht zu begeistern, weil ich aus einer kleinen niederbayerischen Stadt komme, in der es vielleicht einen Buchladen und keine Cafés mit veganem Kuchen gibt. Aber ich bin überzeugt, dass die kulinarischen Giesinger Schmankerl sogar den größten bayerischen Grantler aus seinem Versteck locken.

Vor zwei Jahren feierte ich meinen Geburtstag an der Isar. Vollgepackt mit Alkohol und Decken und Freund*innen war es vom Giesinger Bahnhof nur ein Katzensprung dorthin und betrunken in den Morgenstunden wieder zurück. Neidisch? Wenn ihr jetzt den unwiderstehlichen Drang verspürt, nach Giesing zu ziehen – sorry not sorry. Giesing ist einfach Dahoam, ein urbanes Paradies, das nach Zimtschnecken duftet und Isar-Sonnenuntergänge verspricht.


Beitragsbild: © Carina Eckl

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