Aktuell, Kunst

Rocco und seine Brüder – die “Schock-Aktivisten” sind wieder zu Besuch in München

ART IN A FRAME, Berlin.

Die Sonne brennt an diesem heißen Sommernachmittag auf die Landsberger Straße hinab. Ich sitze mit “Rocco” und “seinen Brüdern”, die gerade von einem Baumarkt-Besuch zurückkommen, im Hinterhof ihres Hostels entspannt auf einer Bierbank im Schatten.

Das Berliner Kollektiv ist für ein gemeinsames Projekt mit dem MUCA – Museum of Urban and Contemporary Art in München, das Mitte September fertig gestellt werden soll.

Alles noch streng geheim, versteht sich. Bis es so weit ist, sprechen wir über Schock-Aktivismus, Visconti und die Vorteile des Berliner U-Bahnsystems gegenüber dem in München.

 

“München ist mir zu steril.” – Rocco und seine Brüder im Interview

Mucbook: Als was bezeichnet ihr euch selbst? Seid ihr Künstler? Seid ihr Aktivisten?

Rocco und seine Brüder: „Schock-Aktivisten“ redet die Presse. (lachen) Wir sind keine großen Fans von irgendwelchen Nischen, in die man uns drücken will. Ob wir jetzt Künstler sind… Es ist schon Kunst, was wir zum Teil machen, aber wir machen auch viele aktivistische Geschichten. Da gibt es so Wörter wie „Street Art“ und „Guerilla-Kunst“ etc., aber das sind Wörter, die erfunden wurden, um es irgendwie der Masse zu erklären. Wir finden es überhaupt nicht wichtig, dass es da ein Wort dafür gibt. Also „Aktivismus“ ist glaub ich so der große Überhänger, aber es ist natürlich nicht alles politisch was wir machen. Da sind auch Sachen dabei, die machen wir, damit wir Spaß haben und auch so lustigere Geschichten, mit denen wir die Leute zum Lachen animieren wollen. Schwierig… Wir sind schon alle Künstler. Es ist auch so, dass wir alle berufstechnisch – also was heißt berufstechnisch, also so lebensmäßig – im groben Kunstbereich tätig sind. Das ist schon Kunst. Uns ist es eigentlich ziemlich egal, als was man uns bezeichnet. Ich mag „Schock-Aktivisten“.
– „Schock-Aktivisten“ und es gab sogar „Öffi-Guerillas“, da sind der Fantasie des Boulevards keine Grenzen gesetzt.

“Ein großer Bestandteil unserer Arbeiten ist eben auch dieses Recherchieren und dieses Lernen. (…) Dieser Prozess ist eigentlich ziemlich wichtig für das Kunstwerk. Was man an dem Endprodukt jedoch nicht sieht.”

Mucbook: Eure Arbeiten sind sehr aufklärerisch. Ihr wollt die Leute damit auch auf gewisse Dinge, auf Missstände hinweisen. Wo bekommt ihr euer Hintergrundwissen her? Klar, das kann wahrscheinlich jeder irgendwo recherchieren, aber wie kommt ihr darauf, dass ihr sagt: Das wird unser nächstes Thema.

Rocco und seine Brüder: Also wenn wir so ein Thema nehmen, mit dem wir uns beschäftigen und dann wirklich auch eine Aktion daraus machen und wo wir auch wissen, dass es dann medial vielleicht auch ein bisschen Aufmerksamkeit erregt, ist es schon wichtig, dass man sich dazu gut informiert. Alleine, uns darüber zu unterhalten und zu denken „Okay, das ist scheiße“, macht Spaß. Ein großer Bestandteil unserer Arbeiten ist eben auch dieses Recherchieren und dieses Lernen.
– Und sich selbst damit auseinanderzusetzen, wie man das denn überhaupt so findet.
– Dieser Prozess ist eigentlich ziemlich wichtig für das Kunstwerk. Was man an dem Endprodukt jedoch nicht sieht. Also, dass wir uns selber aufklären und uns informieren und lesen und – okay, im Online-Zeitalter ist das ziemlich einfach, aber das ist auch nicht unsere einzige Quelle des Wissens. Wir machen zum Teil.. zum Beispiel Heckler & Koch, die Geschichte. Da waren wir in Oberndorf am Neckar gegen den Waffenproduzenten Heckler & Koch..

Das auf dem Weihnachtsmarkt?

Ja genau. Da sind wir nach Freiburg gefahren und haben ein Interview gemacht mit dem Vorstand des RüstungsinformationsBüro.

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Wussten die denn, was auf sie zukommt?

Nein nein nein nein (grinst) Ne ne, die, die wir interviewt haben, waren die, die gegen den Waffenhandel agieren. Der Chef Jürgen Grässlin hat zum Beispiel dieses Buch, das ich gelesen habe, bevor ich die Aktion gemacht habe – ‚Schwarzbuch Waffenhandel‘ – geschrieben und ist für 90% der Klagen gegen Heckler & Koch zuständig. Der ist da der Anti-Christ in dem Kaff, die hassen den. Also wenn man „Jürgen Grässlin“ sagt…
– Für uns ist das auch interessant. Wir sind ja alle nicht auf den Kopf gefallen. Wir sind ziemlich wissbegierig und uns macht es auch Spaß zu lernen. Und wenn man in eine solche Richtung geht wie wir, dann darf man nicht heucheln. Also, dass man auch das entsprechende Wissen hat. Aber es ist jetzt nicht so, dass wir mit dem Wissen auf die Welt gekommen sind. Gott bewahre.

Wie lange dauert dann so eine Aktion von der Planung bis zur Umsetzung?

Zum Teil sehr lange. Es gibt Projekte, da haben wir vier Monate dran gesessen. Es läuft halt viel parallel und…
– Es gibt auch viel Kleinkram. Wir haben auch einen Job nebenbei, wir können also nicht nur das machen und so muss man eben viele Sachen im Vorfeld organisieren, rausfinden, rumgucken etc.
– Und basteln, basteln! Wir sind große Bastler. Basteln macht am meisten Spaß.
– Wir sind gerne in Baumärkten. Wir haben Goldkarten von Makita und sammeln Treueswops von Hellweg.
– Ja, man findet uns bei ebay Kleinanzeigen oder in Baumärkten – oder nachts in irgendwelchen Parks und wir schrauben Zäune ab.

Und das ganze Aufbauen vor Ort, wie schnell geht das? Ich schätze mal, da muss man ziemlich schnell sein, damit man nicht erwischt wird.

Wir machen es ganz gerne möglichst auffällig, also mitten am Tag beispielsweise mit selbstbedruckten Westen. Die Scheuklappen-tragenden Großstädter erwarten da nichts Böses… Und da sind weniger Bu… ähm, Polizisten unterwegs.
– Also pauschal kann man das wahrscheinlich nicht sagen, wie lange sowas dauert.
– In der Regel ist es schon so, dass wir alles sehr gut vorbereiten, damit es dann vor Ort ziemlich schnell geht. Dieses Kamerading hat zum Beispiel schon ziemlich lange gedauert vor Ort. Und das U-Bahn-Zimmer…
– Das U-Bahn-Zimmer hat sechs Stunden gedauert! Vor Ort, trotz Vorbereitung.
– Wir versuchen halt, es bestmöglich so schnell wie möglich zu machen.

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“Wir sprühen mehr als die Hälfte unseres Lebens und da ist man schon mit 14 im U-Bahn-Tunnel rumgekraucht.”

Woher wisst ihr, wo ihr in die U-Bahn-Schächte einsteigt?

Naja, das haben wir uns antrainiert.

Ich glaube, wenn ich da runter steigen würde, würde ich direkt überfahren werden oder einen Stromschlag kassieren.

Aber wir haben ja diesen Graffiti-Background. Wir sind alle in der Mitte der 80er geboren. Wir sprühen mehr als die Hälfte unseres Lebens und da ist man schon mit 14 im U-Bahn-Tunnel rumgekraucht. Da kennen wir uns bestens aus. Man halt selbst so ein Portfolio im Kopf, dass man eigentlich nur am Tisch sitzen muss und aufn Bierchen überlegen kann, wo man das am besten macht. Da gibt es auch wieder so ein Unwort, „Urban Exploring“..

… Hashtag “Go Explore”

Haha genau, Katastrophe. Aber das macht ja tatsächlich auch Bock in irgendwelchen stillgelegten U-Bahn-Schächten rumzukrauchen, wo selbst der normale BVG-Fahrer nicht mehr hinkommt. Da gibt es echt viel! Berlin ist ein krass interessantes U-Bahn-System. Durch den Mauerbau und den Zweiten Weltkrieg gibt es total viele U-Bahn-Tunnel-Rohbauten und Stationen, die in Bau waren, als die Mauer gebaut wurde und die dann obsolet wurden, als die Mauer gefallen ist, weil dann das Straßenbahn- und Busnetz soweit ausgebaut war. Also es gab irgendwie 15, 16… – ach, zitier mich bloß nicht – es gibt ne Menge Rohbauten von Bahnhöfen und auch stillgelegte U-Bahn-Tunnel, Geistertunnel… Dann gibt es noch verschiedenste Türen und auf einmal bist du in irgendwelchen Nazi-Bunkern mit Hakenkreuzen an den Wänden. Also das ist krass interessant. Das ist pure Geschichte, die du da atmest. Neben Tunnelstaub und Gleisschimmel. Ich mein, du bist mitten auf dem Ku’damm, aber halt ein paar Meter darunter. Bei uns in Berlin ist die U-Bahn durch den märkischen Boden ja nicht tief. Du bist eigentlich für dich allein, aber du hörst trotzdem durch die paar Meter Sand und Beton noch gedämpft die Autos darüber fahren. Das klingt zwar bekloppt, aber für uns ist das romantisch.

 

“Und in München gibt es halt keinen, der sowas macht.”

Ist das eine Berliner Besonderheit oder könnte man sowas in München auch haben?

Nein, das Münchner U-Bahn-System ist zu neu und zu steril. Die haben keine Steine, es riecht nicht nach U-Bahn, es riecht nicht nach Dreck. Ja, diese Schottersteine, die sind ein Geruchsträger. Und wir selber – wir sind ja alle Berliner – können uns logischerweise nicht mit anderen Städten dieser Welt identifizieren. Da gehören Erinnerung und Pipapo dazu. Es gibt wunderschöne U-Bahn-Systeme in Paris, London. London ist das älteste der Welt, beispielsweise. Und New York, auch geil. Aber wir sind halt Berliner. Und in München… München ist mir zu steril, das U-Bahn-System ist nicht interessant genug. Das hat keine Geschichte.

Und wie kommt ihr dann zu der Neuperlacher Mauer? Oder hier, zu diesem Projekt?

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Naja, die Mauer in Neuperlach ist ja durch die ganze Welt gegangen. Das war nicht nur in den lokalen Medien, sondern es war wirklich international, sodass die Presse in England oder in Amerika darüber berichtet hat. Und in München gibt es halt keinen, der sowas macht. In München gibt es halt so einen Menschen nicht. Zumindest kenne ich keinen – Pardon, wenn ich jemandem ans Bein pisse. In Berlin gibt’s schon so… weißte, aber hier? Es war ja nicht so, dass die Mauer gebaut wurde und wir waren sofort da. Da ist schon Zeit vergangen und bis jetzt ist da nichts passiert, außer vielleicht ein paar Tags auf der Rückseite. Und wir hatten auch Bock auf einen kleinen Roadtrip.
– Das ist ja auch immer so ne Sache: Wir sind alle gute Freunde, das ist ja für uns quasi Freizeit…
– Klassenfahrt!
– Also wir haben das Ziel, das zu machen, aber drum herum sind wir dann auch mal drei Tage hier und treffen Freunde, die man dann hier hat. Versacken in Münchens Biergärten oder Flitzen nackt durch den Eisbach.
– Eine Klassenfahrt! Wie eben jetzt hier auch, man kommt hier hin, verbringt Zeit mit Freunden und nebenbei hat man auch Spaß.
– Genau.

“Wobei wir auch immer betonen, dass es auch Schwestern gibt!”

Wie viele seid ihr dann bei so einer Aktion?

Unterschiedlich, unterschiedlich. Die Mauer haben wir zu zweit gemacht, zum Beispiel. Da waren wir nur zu zweit hier.

Und was war das Größte, wo waren am meisten beteiligt?

Das ist ein Projekt, das… Also, das ist noch nicht rausgekommen. Das war ein illegales Theaterstück in einem U-Bahn-Tunnel. Da waren locker 25 Leute beteiligt.
– Also auf jeden Fall!
– Durch dieses Graffitti-Ding haben wir einen riesigen Freundeskreis. Klar, dass die auch alle Bock auf so ne Aktion haben. Bisschen Schabernack geht immer. ‚Rocco und seine Brüder’ ist ein Kollektiv, das keine bestimmte Anzahl von Menschen hat. Es einen härteren Kern und dann immer Leute, die supporten. Manchmal ist es bei einer Aktion auch so, dass du halt jemanden brauchst, der etwas bestimmtes kann. Da muss dann einer irgendwas nähen können und einer muss das und ein anderer das. Das sind ganz viele Leute, die ihren Input geben können, weil sie eben bestimmte Skills haben. Und die haben halt auch immer Bock zu helfen und das ist total schön, weil es natürlich für uns auch eine Unterstützung ist. Brüderliebe halt.

Wie seid ihr auf den Namen gekommen?

Es gibt da so einen Film von Visconti aus den 60er Jahren, ‚Rocco und seine Brüder‘. Ein Schwarzweiß-Film. Da geht es um Brüder und um Zusammenhalt und schwierige Phasen. Nur endet unsere Geschichte hoffentlich besser. Es gibt da auch mit so einem Graffiti-Namen Verbindungen, aber darauf möchte ich jetzt nicht weiter eingehen. Aber in dem Film geht es darum, dass Brüder mit ihrer Familie in eine große Stadt ziehen – in diesem Fall war es Mailand –und dann eben in dieser großen Stadt ihre Abenteuer erleben. Ausserdem is Alain Delon n Toptyp!
– Wobei wir auch immer betonen, dass es auch Schwestern gibt!
– Genau, ganz wichtig!
– In unserem Fall ist „Brüder“ ein ganz ungeschlechtlicher Begriff.

 

“Es wird viel gepöbelt, es wird viel gehasst. Bei politischen, sensiblen Themen kommen dann auch wirklich Morddrohungen.”

Was für Reaktionen bekommt ihr auf eure Werke? Und welche Reaktionen würdet ihr euch wünschen, was sollt ihr erreichen?

Die Reaktionen sind bei so ner Aktion natürlich – was so die Polizei und die Berliner Verkehrsbetriebe angeht – ziemlich positiv.

… ach echt?

Ja. (lacht) Nein, also Gott bewahre, die finden das Kacke.

Also der BVG könnte ich schon zutrauen, dass die das cool finden. Die MVG eher nicht.

Die BVG tut so. Anfangs kamen sie mit Humor und Toleranz, aber irgendwann hatten sie die Schnauze voll. Wir hatten letztens einen Bericht auf dem ARD und selbst das ARD(!) wollte mit der Pressesprecherin über Rocco und seine Brüder reden und denen wurde dann gesagt, dass sie die Auflagen von ganz oben haben, über Rocco und seine Brüder keine Auskunft mehr zu geben, weil sie sich selber die ganze Zeit ins Bein schießen. Es ist halt so… natürlich ist es nicht cool, dass wir da über Stromschienen laufen, allein wegen dem Nachahmereffekt. Klar kommt die BVG zuerst mit solchen Anschuldigungen, sodass Prenzlauerberg-Muttis angewidert den Kopf schütteln. Aber das ist Heuchelei. Das Hauptproblem der BVG ist es, dass die Sensibilität, beziehungsweise diese Unsensibilität der Sicherheitsvorkehrungen in den Berliner Verkehrsbetrieben aufgezeigt wird. Das ist abstrus, aber man vergleicht das regelmäßig mit Terrorismus. Aber: Wenn jemand eine U-Bahn in die Luft jagen will, dann geht er da nicht nachts in den Tunnel, an den Bewegungsmeldern vorbei und mit verschiedensten Schlüsseln rein, sondern er steigt einfach in eine einfahrende U-Bahn und Bumm.

Die BVG wird mit unseren Aktionen halt lächerlich gemacht. Aber tatsächlich durch die Presse und nicht durch uns. Unser Intentionen sind andere, als gegen die BVG zu agieren. Aber: Die Leute lachen halt darüber. Und das kotzt sie an. Wir machen viele Aktionen, die mit einem Schmunzeln zu sehen sind und die BVG sind leider oft die Leidtragenden. Man muss dazu sagen, dass in Berlin gerne über die BVG gelacht wird. In allen Schichten, glaube ich. Und das Ding ist ja, zum Leidwesen derer wird unser Zeug oft positiv aufgenommen. Aber wenn man jetzt zum Beispiel Erdogan-kritische Kunst vor der türkischen Botschaft aufbaut, wenn man vor der AfD-Zentrale „Stolpersteine“ für gefallene Wehrmachtssoldaten installiert, wenn man irgendwas gegen Rechts macht, dann kommen immer Morddrohungen. Das Internet ist voll von so Leuten. Es wird viel gepöbelt, es wird viel gehasst. Bei politischen, sensiblen Themen kommen dann auch wirklich Morddrohungen.

Immer die, die sich angesprochen fühlen.

Ja, und auf den Schlips getreten.

Macht ihr euch denn Sorgen, dass euch etwas passiert?

Ne ne. Quatsch. Absolut nicht. Wir nehmen das mit einem Schmunzeln. Das ist dann eine Bestätigung. Da weiß man, das man den richtigen Nerv getroffen hat, in die richtige Seite gepiekst hat und das macht uns ja dann noch mehr Spaß.
– Und der, der im Internet so einen Scheiß schreibt oder eine E-Mail, das ist ja nicht der, der dann auch wirklich am nächsten Morgen kommt und vor der Tür steht. Außerdem halten wir uns ziemlich bedeckt. Es gibt gar keine Adresse, wo die auftauchen könnten mit ihren brennenden Kreuzen und Fackeln und uns dann mit Heugabeln aus dem Atelier jagen.

“Ich bin ein großer Fan von subtiler Kunst, aber auf der Straße funktioniert das halt nicht. Da muss man sehr plakativ arbeiten, damit es wirklich jeder versteht.”

Und wollt ihr das auch, gezielt provozieren?

Ja, Provozieren macht so Spaß! Oh Gott, Provozieren ist das Beste! Dieser Piekser in die Seite, es gibt nicht besseres. Auf jeden Fall. Leute nerven, die eigentlich gar keinen wirklichen Grund haben, genervt zu sein und dann trotzdem genervt sind, das ist das Beste.
– Außerdem ist es bei manchen Themen so: Wenn man die Leute provoziert, sind sie halt gezwungen, sich darüber Gedanken zu machen. Die denken dann mehr darüber nach. Wenn du jetzt irgendwas Lustiges machst, sagen sie halt „Hahaha“, aber wenn du ihnen echt das Messer auf die Brust setzt…
– Wobei es ja schon paar Sachen gibt, die richtig provokant waren. Und ein paar, die eher zum Nachdenken anregen.
– Wir machen auch Kunst, die ist sehr subtil. Ich bin ein großer Fan von subtiler Kunst, aber auf der Straße funktioniert das halt nicht. Da muss man sehr plakativ arbeiten, damit es wirklich jeder versteht. Es ist einfach so: Wenn du daran vorbeiläufst und es dir nicht direkt in die Fresse springt, dann merkst du das gar nicht. Gerade in Großstädten. Man muss es den Leuten eben wirklich ins Gesicht drücken. Man muss sie zwingen, sich Gedanken zu machen. Gerade in einer Stadt wie Berlin, wo die Leute mit Scheuklappen herumlaufen. Sowieso ist alles überall immer Input! Input! Input! Overkill… Da muss man die Leute halt ein bisschen schütteln.

Habt ihr das Gefühl, ihr habt auch schon wirklich etwas erreicht? Das erreicht, was ihr erreichen wolltet? Ein Umdenken?

Also Umdenken ist jetzt ein bisschen grob gesagt. Wir sind auch gar nicht so eingebildet, dass wir denken, dass wir wirklich was verändern, aber uns reicht es schon, wenn sich ein, zwei Leute Gedanken machen. Das ist schon mal mehr, als wenn wir jetzt hier sitzen und über Kunst und Politik und sonst was diskutieren, ein, zwei Weinchen zwitschern und dann pennen gehen. Das interessiert keinen. Aber wenn wir es auf der Straße machen und selbst nur zwei Leute darüber nachdenken, dann ist das schon mehr, als wenn wir es nicht machen würden. Das ist dann schon ein Gewinn. Da sind wir ziemlich bescheiden. Wir werden jetzt nicht die Welt verändern. Aber im Kleinen! Und wenn das jeder ein bisschen macht, dann wird es immer ein bisschen mehr. Und wir leisten eben unseren Beitrag.
– Absolut.

“Wir beschaffen uns die Materialien auf verschiedensten Wegen.”

Als letzte Frage dann vielleicht noch: Wie finanziert ihr euch?

Wir sind keine reichen Menschen und pumpen da keine Millionen Euro rein. Wir beschaffen uns die Materialien auf verschiedensten Wegen. (lachen)

Wieso lacht ihr?

Das würde es auch irgendwie entromantisieren, wenn man alles erklärt. Das fragen tatsächlich viele, aber die Beschaffung ist Teil der Performance und das kommt nicht an die Öffentlichkeit. Das reicht, wenn wir das wissen. Also wir haben keinen Sponsor, wir haben auch nicht viel Geld. Man schmeißt halt mal zusammen und kuckt mal hier, kuckt mal da. Und irgendwie hat das bis jetzt immer funktioniert. Und jetzt hier, bei so Kunstinstallationen, bei der MUCA zum Beispiel, das wird dann gesponsert oder zumindest unterstützt. Aber wenn man auf die Straße geht, wer soll das sponsern?

Die BVG vielleicht?

Haha, das wär schön. Da sollten wir mal einen Antrag stellen. Aber die sind mindestens genau so pleite wie wir.

 

Vielen Dank für das Interview, Rocco und seine Brüder! Wir sehen uns dann Mitte September bei der Eröffnung des MUCA-Projekts. Mehr dürfen wir dazu noch nicht verraten, aber wir halten dich auf jeden Fall auf dem Laufenden!


Fotos: © Rocco und seine Brüder

Giulia Gangl
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