Aktuell, Kultur, Was machen wir heute?

Stadtfestival zu 50 Jahre Olympia 72: Für Münchner Künstler*innen nicht nur ein Grund zum Feiern

Tobias Wullert

Vom 1. bis 9. Juli 2022 ist der öffentliche Raum rund um den Olympiasee Schauplatz zahlreicher kultureller und sportlicher Events. Für das Jubiläum der Olympischen Spiele in München haben sich viele lokale Veranstalter*innen und Künstler*innen zusammengeschlossen. Auf die Beine gestellt wurde ein wirklich bemerkenswertes und vor allem sehenswertes Programm. Alle Events sind kostenfrei und inklusiv. Auch das Gedenken an das Attentat ist immer wieder präsent. Wir geben dir einen Überblick über die interessantesten Events und haben mit den Kurator*innen über den Ort sowie ihr Programm gesprochen.

Club der Jubilare: Feiern und Gedenken

Polina Lapovskaya, die man als Sängerin und Bassistin der Band Pollyester kennt, hat im Olympiapark vom 5. bis 7. Juli einiges vor: „Die Stadt hat das Projekt zum Thema „50 Jahre Olympische Spiele“ ausgeschrieben und der zeitliche Bogen wurde von 1972 bis 2022 und nach 2072 gespannt. Also aus der Gegenwart blicken wir zurück in die Vergangenheit und beamen das einmal in die Zukunft.”

Gerade diesen doppelten Blick in Vergangenheit und Zukunft fand Polly die spannendste Herausforderung und entwickelte daraus ein Konzept. „Dabei war ich 1972 weder auf der Welt, noch habe ich diesen München-Bezug und kann auch meine Eltern gar nicht fragen, wie es damals war. Doch habe ich gemerkt, dass München durch Olympia damals einen riesigen Schritt nach vorne gemacht hat”, erklärt die geborene Belarussin, die seit ihrem elften Lebensjahr in München lebt. „Ich bin relativ nah am Stadion aufgewachsen und mein Stiefvater hat mich mit elf Jahren mit zu einem FC-Bayern-Spiel mitgenommen und wir sind über den Zaun geklettert. Dabei habe ich mir die Hände aufgerissen und lief also mit blutigen Händen in dieses Stadion. Damals habe ich auch zum ersten Mal die Energie und Gewalt gespürt, die von so einer Menschenmasse ausgehen kann und ich hab mich in Christian Ziege verliebt”, erzählt Polina lachend.

Pollyester bringt den “Club der Jubilare” ins Theatron Foto: Frank Stolle

Ihre erste Idee war, einen ausrangierten Autoscooter auf die Spitze des Olympiabergs zu stellen. Doch daraus wurde aus unterschiedlichen Gründen leider nichts. So wird nun das Theatron am Olympiasee – wie schon bei den Olympischen Spielen 1972 – zum Hauptschauplatz für Kunst und Kultur.

Polly will aber nicht nur an die heiteren Spiele erinnern, die damals als das genaue Gegenteil der Spiele unter der NS-Diktatur von 1936 sein sollten. Auch die Tragödie der Geiselnahme und des Attentats wird künstlerisch beleuchtet. “Wir haben das nicht ganz unironisch ‘Club der Jubilare’ genannt, weil wir als Stadtgesellschaft dieses Jubiläum feiern – ob wir wollen oder nicht. Jeder kann sich fragen, was das mit ihm zu tun hat. Die Olympischen Spiele haben München sehr verändert und letztendlich ganz Deutschland erschüttert hat, weil man zuerst immer an das Attentat denkt. Für mich war das eine superinteressante Fragestellung: Wie kann man gleichzeitig ein Jubiläum feiern und gedenken?” Daraufhin hat Polly sehr viel recherchiert. Ihr Partner Mikko Gaestel, der als Videokünstler für das gesamte visuelle Konzept des “Clubs der Jubilare” verantwortlich ist, fügt hinzu: “Für Deutschland war Olympia 1972 eine Chance, sich nach dem Zweiten Weltkrieg neu zu präsentieren und es gab damals eine Aufbruchstimmung, die jäh erschüttert wurde, durch die Geiselnahme und das Attentat. „Ganz konkret gestalten wir drei Tage im Theatron und jeder Tag beginnt mit Workshops ab 17 Uhr und ab 21 Uhr wird daraus eine Tanzveranstaltung.”

Ein Blick in die Zukunft von Olympia

Am ersten Tag wird ein reaktiver Dancefloor aufgebaut. Das heisst, die Tänzer*innen erzeugen durch ihre Bewegungen Strom und auf einem LED-Bildschirm im Hintergrund wird ersichtlich, wieviel Energie sie erzeugen. „Unser Partner Johannes Wimmer, ein Maschinenbauer, hat uns den gebaut. Er hat mir bereits elektronische Elemente für meine Bühnenshows maßgeschneidert“, erzählt Polly begeistert. Dabei war die Fragestellung, wie könnten Olympische Spiele in der Zukunft aussehen und inwieweit sind solche Megaevents, für die ein riesiger Aufwand betrieben wird und für die Leute aus der ganzen Welt anreisen – mit allen Konsequenzen für die Natur und die Resourcen – noch zeitgemäß? „Der reaktive Tanzboden soll spielerisch den Carbon Footprint sichtbar machen“, erklärt sie. „Eine weitere Fragestellung ist, ob die gendergenormte Struktur der Olympischen Spiele noch zeitgemäß ist oder muss es auch da ein Umdenken geben?”

Auch am zweiten Tag nähert sich der Club der Jubilare dem Thema der Olympischen Spiele der Zukunft auf spielerische Weise: “Wir werden aus vorhandenen Secondhand-Klamotten die Trikots der Zukunft gestalten und diese dann in einer Modenschau vorstellen. Damit wollen wir auch einen kritischen Ansatz verfolgen und darauf freue ich mich schon sehr.”

Am dritten Tag geht es um die “Rule 50″, einen Paragrafen in den Richtlinien des IOCs. „Laut der Rule 50 darf während der Olympischen Spiele keine politische Agenda verfolgt werden. Was sehr mißverständlich ist, weil dadurch der Eindruck entsteht, dass die Spiele ein apolitischer Raum sind. Durch das Attentat wurde man aber schmerzhaft daran erinnert, dass es einen apolitischen Raum gar nicht geben kann”, erklärt Polina. Dazu gibt es als Videoarbeit, ein NFT, als digitales Unikat zu sehen.

Olympian Drums – ein Weltmusikfestival am Theatron

Ein anderer Akteur des Jubiläums ist Konzertveranstalter Christian Kiesler, der im vergangenen Jahr für die Sommerkonzerte im Olympiastadion mitverantwortlich war. In diesem Jahr werden die „Olympian Drums“ am 2. und 3. Juli aufhorchen lassen und gemeinsam mit Branimir Peco und Tobias Staab hat er die Künstler*innen Omar Souleyman, Gaye Su Akyol und Moonchild Sanelly und Carl Gari sowie das Ballett of Difference gebucht, die je für sich bereits für eine grenzenlose Welt stehen.

Kiesler dazu: “Die meisten Festival-Lineups, an denen ich beteiligt bin, entstehen zunächst im Diskurs. Auch bei den Olympian Drums haben bei uns drei Kuratoren – bei Tobias Staab, Branimir Peco und mir – die Köpfe geraucht, da es ja durchaus eine einmalige Chance ist, als Kulturschaffender an so einem Jubiläum teilzunehmen. Uns ging es in erster Linie darum, ein Lineup aufzustellen, das man so in München nicht zu sehen bekommt. Etwas Neues und Außergewöhnliches sollte es sein. Die Idee war im weitesten Sinne ein zeitgemäßes, interdisziplinäres und modernes Weltmusikfestival zu gestalten und damit Im Grunde ganz im Sinne der Olympischen Spiele als Treffpunkt der verschiedensten Kulturen zu fungieren.”

Ballett of Difference

Kurz zum Lineup: Das Ballett of Difference gastiert am 2. Juli im Theatron. Das Ensemble zieht seine Dynamik aus der Diversität und der Avantgarde sämtlicher Genres und lässt die Grenzen des klassischen Balletts weit hinter sich. Deren Leiter, der amerikanische Starchoreograph Richard Siegal, lässt sich laufend von den neuesten Trends aus Tanz, Mode, Pop, elektronischer Musik oder Design inspirieren.

Omar Souleyman remixte bereits Björk und arbeitete mit Modeselektor zusammen

Am 3. Juli fliegen wir einmal um die Welt: Omar Souleyman begann als Hochzeitssänger und hat für die syrische Community mittlerweile Superstar-Status. Er remixte nicht nur Björks „Crystalline“ sondern kollaborierte auch bereits mit Modeselektor und Damon Albarn. Dagegen ist Moonchild Sanelly aus Südafrika eine der Neuentdeckungen der letzten Jahre, die bereits mit Gorillaz und Beyoncé im Studio stand und deren „Futureghettopunk“ direkt in alle Gliedmaßen fährt. Die dritte im Bunde ist Gaye Su Akyol, die zu den neuen mutigen Stimmen aus Istanbul zählt und Psych-Pop und Postpunk mit traditioneller türkischer Musik verbindet.

Moonchild Sanelly aus Südafrika bringt das Theatron zum Tanzen

Tam Tam Date im Theatron – mit DJ Hell

Das Tam Tam Kollektiv hat es sich ebenso nicht nehmen lassen, mit mehreren Veranstaltungen auf dem Gelände des Olympiaparks aufzublitzen. So sind alle Frühaufsteher*innen am 3. Juli und 9. Juli um 4 Uhr zu einem Morgenspaziergang eingeladen. Der Spaziergang am 9. Juli wird von einer Soundperformance der Band Meerkat Meerkat und einem Auftritt der Münchner Songwriterin Inga musikalisch begleitet. Am 4. Juli stehen dann ab 17 Uhr die Band Frauenstrasse, Manuela – die aktuelle Band von Nick McCarthy (Ex-Franz Ferdinand) –, das Performance-Duo Igitte Sisters und DJ-Legende Hell auf der Bühne des Theatrons.

Auch DJ Hell wird 50 Jahre Olympia 72 feiern

“Picknick Voices and Noises“ – Pausenmelodien und Zukunftsmusik

Auch die Münchner Künstlerin Steffi Müller ist gleich mit mehreren Aktionen auf dem Olympiaberg unterwegs. Los geht es bei „Picknick Voices and Noises“ am 5. Juli von 14 bis 18.30 Uhr mit Performances, bevor am 6. Juli ein Textil Zero Waste Workshop von 16 bis 18 Uhr ins Programm gewoben wird. Beide Veranstaltungen finden im Collective Futures Space von Mirca Lotz neben der Olympia Alm statt. Hier gibt es bis 9.Juli jeden Tag unterschiedlichste Workshops und Events. Also einfach vorbeischauen!

Mit dem Ort verbindet auch Steffi Müller ganz besondere Erinnerungen: „Was mich persönlich mit dem Olympiapark verbindet ist vor allem die Musik. Als ich 1999 ganz frisch nach München gekommen bin, war das Theatron ein Magnet für mich. Hier fand auch beim Pfingsttheatron eines unserer ersten Beißpony-Konzerte statt und im vergangenen Jahr haben wir dort noch unter Corona-Auflagen mit unserem Alligator Goimasu-Kollektiv eine Tretboot-Performance veranstaltet.”

Steffi Müller veranstaltet “Picknick Voices & Noises”

Der Ort hat auch für sie etwas Ambivalentes: “Ich habe immer Lust ganz genau hinzusehen, denn während wir dort feiern, haben andere Menschen dort etwas Tragisches erlebt, weil das Olympia-Attentat ganz nah im Olympischen Dorf stattfand. An Orten, die wunderschön ausschauen, wo wir uns gerne ausruhen, schlummern andere Geschichten und es lohnt sich dort genau hinzuschauen und zu hören. Wir sind auf dem Olympiaberg, der ja aus dem Schutt aus dem Zweiten Weltkrieg errichtet wurde. Das ist auch etwas, was mich als Künstlerin total reizt, wenn ich an einem Ort bin, der nach außen hin glänzt, die kratzigen Stellen zu finden, damit die nicht vergessen werden.“


In aller Kürze:

Wer: Pollyester, DJ Hell, Omar Souleyman, Moonchild Sanelly, Gaye Su Akyol, Ballett of Difference uvm.

Wann: 01.07.22 – 09.07.22

Wo: Olympiapark

Eintritt Frei!

Alle Infos zum Programm vom 1. bis 9.Juli 2022


Beitragsbild: © Stephanie Müller

No Comments

Post A Comment

Simple Share Buttons
Simple Share Buttons