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Improvisationen in Corona-Zeiten – privates Theater für alle in den eigenen vier Wänden
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Wer muss nicht zu Corona-Zeiten im Alltag immer wieder improvisieren? Besonders Kulturschaffenden haben die Beschränkungen den Boden unter den Füßen weggezogen. Ein Glück also, wenn man ohnehin professionell improvisiert.
Wie allen Künstlern waren dem Münchener Improvisationstheater Fast Food die Hände gebunden, als der Lockdown kam. Und dann kam Karin Krug auf eine Idee, um die neue Situation zu nutzen. Ausgehfein und Theater, aber für daheim? Die „Kunst der Stunde“ macht’s möglich. Dabei bucht man eine*n Impro-Schauspieler*in für eine exklusive Vorstellung, die man von Zuhause aus ganz entspannt über das Videokonferenzprogramm Zoom genießen kann. So erschien es mir geradezu wie ein Muss, dieses neue Format auszuprobieren.
„Dieser Moment kann nur jetzt entstehen.“
Es ist eine andere Art von Perspektive und Bezug zum Schauspieler, die hier über das Video aufgebaut wird. Der gemeinsame Dialog, aus dem die Impro-Szenen teilweise nahtlos hervorgehen, fühlt sich um einiges intimer an, als im größeren Rahmen, und dadurch ist die Vorstellung auf die Zuschauer*innen maßgeschneidert.
Man kann durch die Schauspieler*innen selbst zur Heldin oder zum Helden von ersehnten Abenteuern werden, gemeinsam in weit entfernte Länder reisen oder Geschichten aus sonst unmöglichen Blickwinkeln erleben, wie zum Beispiel das alte Griechenland aus Käfersicht. Die Interaktion mit den Improvisator*innen macht das digitale Theatererlebnis unmittelbarer als jeden Stream und jeden Film – was an Kulisse fehlt, wird durch Worte und Gesten gezeichnet.
Es hängt also stark von den Wünschen und Angaben des Publikums ab, was gespielt wird. Dem seltsamen Alltag entfliehen oder sich kathartisch einem Problem stellen und so die therapeutische Wirkung von Kunst und Theater nutzen – all das ist möglich. Und all das sei auch schon vorgekommen, erzählt mir Andreas Wolf nach meiner eigenen Impro-Show und denkt dabei an eine Frau mit Insektenphobie.
„Es ist ein anderer theatraler Vorgang, der hier geschieht.“
Auch für den Schauspieler ist dieses Format eine ganz neue kreative Erfahrung. Nicht nur die noch direktere Verbindung zu den Zuschauer*innen und die eigenen persönlichen Geschichten, sondern auch die veränderten Spielbedingungen sind eine willkommene Herausforderung. Mit perspektivisch veränderbaren Größenverhältnissen zu arbeiten oder von unten die Zoom-Bühne zu betreten ersetzt die fehlende Möglichkeit, zum Beispiel etwas auf dem Boden hockend zu spielen. Die Kamera schränkt ein, aber so entsteht ein neuer Stil. Gedichte und Lieder dürfen auch bei Zoom nicht fehlen, doch Masken, Playmobilfiguren und kleinere Impro-Übungen für interessierte Gäste werden durch das neue Format möglich.
Keine Kulturkonserven erwünscht
Andreas Wolf lebt für die Publikumsinteraktion und die Spontanität seiner Improvisationskunst. Kein Wunder also, dass für ihn gestreamte Shows oder Aufnahmen aus der „Konserven“, wie er sie scherzhaft nennt, keine Option waren. Er ist der Meinung, Theater büße seinen Charakter ein, wenn es aufgezeichnet und einfach abgespielt würde. „Da hat Kultur für mich den konsumistischen Charakter.“ Ein passenderes Format wurde also benötigt, doch es braucht Zeit, so etwas zu entwickeln.
Der plötzliche, völlige Lockdown lähmte die Kunst. „Ich war nicht überrascht und ich war nicht vorbereitet“, erinnert sich Andreas Wolf auf meine Frage, wie ihn der Lockdown getroffen habe. Von einem Tag auf den anderen waren die Kunst und ihre Ausdrucksmöglichkeit weg. Dennoch: „Da hat man nicht viel Zeit nachzudenken über die Kunst, da muss man schauen, dass man die Kunst organisiert, abwickelt quasi.“
Angewandte Improvisation
Veranstaltungen absagen oder verschieben, Tickets zurückholen, Finanzen durchrechnen. All das schlägt auf die Psyche. Doch das Team konnte sich gegenseitig gut auffangen. Andreas Wolf schiebt das zum Teil auch auf ihre Kunstform. „Ich glaube, dass Impro eine echte Hilfe ist für solche Situationen ist, weil wir darauf trainiert sind, im Hier und Jetzt zu sein. Wir wissen, Vergangenheit ist Vergangenheit, wir wissen aber auch, dass die Zukunft genauso ungewiss ist, wir können nur sehen, was im Hier und Jetzt ist.“ Genau so eine Einstellung wird uns allen in diesen Zeiten abverlangt.
Corona und die Kunst
Aber vor allem Künstler benötigen in der Krise ein dickes Fell. Sie sind geradezu vergessen von ihren früheren Zuschauer*innen und kaum einer zeigt Initiative herauszufinden, was an Kultur aktuell überhaupt möglich ist. „Ich glaube, dass die Kultur jetzt in so einer Situation erst einmal in den Hintergrund tritt.“ Doch Andreas Wolf hat Hoffnung, dass es langsam aber sicher wieder bergauf gehen wird, spätestens im Winter. Er bedauert mehr, dass kaum jemand erkennt, wie notwendig gerade in solchen Krisenzeiten Mäzene wären.
„Es gibt keine Kultur der Unterstützung der Kultur“, erklärt er mir und lächelt schwach. Dabei ist die Leistung der Kulturschaffenden nicht nur ein Angebot an die Mitmenschen, das diese wahrnehmen können. Kunst und Kultur sind Ausdruck einer Gesellschaft und damit stehen wir dafür alle in der Verantwortung. Darauf entgegnet Andreas Wolf, dass in eben solchen Situationen die Frage nach Kunst und Kunstkonsum völlig neu gestellt wird.
Post-Corona-Perspektiven
Nun endlich sind die Lockerungen so weit, dass man damit beginnen kann, darüber nachzudenken, wieder mit dem Theaterspielen anzufangen. Damit ist jedoch noch nicht wieder alles gut, wie mir Andreas Wolf schildert. Wie spielt man nämlich für maximal 30 bis 50 Personen, ohne draufzuzahlen?
Viele Rechnungen stehen bevor, bis es wirklich weitergehen kann. Es müssen Bedingungen geschaffen werden, die für alle Beteiligten tragbar sind, sodass nur ein erneuter Corona-Ausbruch dazwischenfunken kann. Das ist nicht so einfach, denn es mussten bereits Mitwirkende des Fast Food Theaters dem wirtschaftlichen Druck nachgeben. Die Technik ist zum Beispiel noch da, aber der Einzige, der sie bedienen könnte, arbeite inzwischen auf dem Bau.
Auch die Bereitschaft der Zuschauer wird sich erst zeigen müssen. Wer kann sich einen Theaterbesuch finanziell und zeitlich jetzt und in Zukunft überhaupt noch leisten? Die soziale Schere öffnet sich weiter und betrifft sowohl Theaterpublikum als auch die Künstler.
Improvisationen im Kulturalltag
Ohne Zweifel wird die Corona-Krise einen Abdruck auf der Kultur hinterlassen, der erst nach und nach gefüllt werden kann. „Ich glaube, dass Improvisation einen stärkeren Raum bekommt“, vermutet Andreas Wolf, denn improvisieren müssen momentan viele, sowohl auf der Bühne als auch im Alltag.
Ein erster Versuch, die von dem Virus gerissenen Lücken in der Kunst zu füllen, ist die „Kunst der Stunde“. An dieser Stelle hat Covid-19 Potential für Neues geschaffen: „Es ist etwas ganz Eigenständiges, das jetzt erst dadurch entstanden ist und ich würde es auch machen, wenn wir wieder ganz normal Theater spielen.“ Die Hoffnung bleibt also, dass die Not weiter erfinderisch macht und aus so manchem krisenbedingten Thinktank frischer Wind in die Kunstflaute bläst.
In aller Kürze:
Deine private Impro-Show kannst du hier buchen, oder du schreibst einfach eine Mail an office@fastfood-theater.de und machst einen Termin aus.
Fotos: © Fast Food Theater