Aktuell, Stadt

Was ist der aktuelle (Leer-)Stand in der Studentenstadt in Freimann?

Anne Lenz

In der Studentenstadt in Freimann befindet sich derzeit wahrscheinlich Europas größter zusammenhängender Leerstand. Seit einem Brand im Februar 2021 stehen dort fast 1.500 Wohnungen leer. Im roten Haus 13 sind es 180 Wohnungen, im Hanns-Seidel-Haus (HSH) 616 Wohnungen und 440 Wohnungen im orangen Haus 12. 246 Wohnungen im blauen Haus 11 standen bereits vor dem Brand leer. Im Februar wurde angekündigt, dass noch weitere Häuser leergezogen werden sollen.

Was ist der aktuelle Stand in der Studentenstadt und wie geht es jetzt weiter?

Anmerkung: Bislang haben nur die in diesem Artikel genannten Stadtratsfraktionen auf unsere Anfrage reagiert.

Was sagt die Münchner Politik?

Wir haben die Parteien des Münchner Stadtrats zu den neusten Entwicklungen befragt. Die Stadtratsfraktion DIE LINKE / Die PARTEI fordert in einem Antrag vom 24. Februar 2023 die Unterstützung der Stadt München bei den Sanierungsarbeiten. Das Studierendenwerk könne diese Aufgabe alleine nicht stemmen. Vor wenigen Monaten entschied der Landtag, dass die Wohnungsbaugesellschaft BayernHeim mit der Sanierung der Häuser Orange und HSH beauftragt werden soll. Das Vorhaben soll frühestens 2027 beendet werden. Dirk Höpner, Planungspolitischer Sprecher der Stadtratsfraktion ÖDP / München-Liste, ist von der geschätzten Dauer der Sanierung nicht überrascht.

„Wir beschäftigen uns intensiv mit der Überlastung der Infrastruktur in München – vor allem in ökologischer und sozialer Hinsicht durch das viel zu starke, ungesunde Wirtschaftswachstum, bei dem Mieter*in, Umwelt und Klima auf der Strecke bleiben. Wir finden es unsozial und ungerecht, wenn ausgerechnet diejenigen Studierenden die Opfer dieser chronischen Überlastung sind, die ohnehin wenig Geld von zuhause mitbringen und auf günstigen Wohnraum angewiesen sind.“ Dirk Höpner, Planungspolitischer Sprecher der Stadtratsfraktion ÖDP / München-Liste

Der Stadtrat und die Verwaltung im Planungs- und Infrastrukturbereich sei ständig mit Luxusprojekten, Investor*innen und Gutverdienenden beschäftigt. Damit werde in Kauf genommen, dass noch mehr Boden versiegelt, Frischluftschneisen zugestellt und gewachsene Hausgemeinschaften vertrieben werden. Probleme wie der Sanierungsstau für die Studierenden sollen quasi ‚nebenher‘ abgehandelt werden, so Dirk Höpner. Ein aktuelles Beispiel ist der Verkauf eines Grundstücks in der Seidlstraße an Apple, wo ca. 1500 neue Bürojobs für Gutverdienende geschaffen werden könnten. Diese machen dann den Gering- und Normalverdienenden, den Studierenden und sozial Schwächeren Konkurrenz. 

Dieser Ausverkauf an Investor*innen und Konzerne muss endlich aufhören, der die soziale Mischung der Münchner Stadtgesellschaft bedroht und die Mieten immer weiter antreibt.Dirk Höpner, Planungspolitischer Sprecher der Stadtratsfraktion ÖDP / München-Liste

Wer ist verantwortlich für die schleppenden Entwicklungen?

Im Antrag vom 24. Februar steht, dass bis 2025 10.000 Wohnungen geschaffen werden sollten. Bislang wurden lediglich 234 Wohnungen gekauft. „Die BayernHeim wird nach eigenen Angaben nicht einmal 10% ihres Ziels erfüllen.“ Stefan Jagel, Fraktionsvorsitzender der Stadtratsfraktion DIE LINKE / Die PARTEI, zeigt sich empört:

„Söder hat die BayernHeim mit großen Wahlkampfgetöse 2018 erschaffen. Die Kritik an der katastrophalen Bilanz der BayernHeim ist berechtigt. Söder & Co. wollen nun die Zahlen durch eine Sanierung der Studentenstadt durch die BayernHeim frisieren, um in der Öffentlichkeit besser dazustehen. Solche politischen Manöver sind aber für die wirkliche Bekämpfung der Wohnungsnot völlig kontraproduktiv.“ Stefan Jagel, Fraktionsvorsitzender der Stadtratsfraktion DIE LINKE / Die PARTEI

Auch Dirk Höpner sieht die BayernHeim eher als PR-Projekt der Staatsregierung, als einen zupackenden staatlichen Bauträger. Christian Müller, Fraktionsvorsitzender der SPD, ist der Ansicht, dass die CSU-Staatsregierung die Probleme im angespannten Münchner Mietmarkt immer weiter verschärft.

„Unsere städtischen Wohnungsbaugesellschaften haben seit 2018 ungefähr 20-mal mehr bezahlbare Wohnungen geschaffen als die Bayernheim im gesamten Freistaat. Das schadet den Menschen in unserer Stadt wie auch in ganz Bayern, die so dringend auf bezahlbare Wohnungen angewiesen sind.“ Christian Müller, Fraktionsvorsitzender SPD/Volt

Die Stadtratsfraktion CSU / Freie Wähler dagegen teilt die Kritik am bisherigen Vorgehen der BayernHeim nicht und empfindet die Diskussion einer Schuldfrage als nicht zielführend.

„Leerstand von Wohnungen ist in einem so aufgeheizten Wohnungsmarkt wie München nicht akzeptabel. Wir befürworten es deshalb sehr, dass der Freistaat finanzielle Unterstützung zur schnelleren Sanierung der Häuser angekündigt hat. Das Studentenwerk als selbstständiger Träger war mit der Sanierung offenbar überfordert. Im Sinne der Studenten sollten jetzt alle beteiligten Parteien an einem Strang ziehen, um die Wohnungen schnellstmöglich wieder verfügbar zu machen.“ Manuel Pretzl, Fraktionsvorsitzender CSU / Freie Wähler

Stefan Jagel hält den für weitere fünf Jahre andauernden Leerstand für einen völlig inakzeptablen Zustand. Die CSU-Regierung habe das Studierendenwerk jahrelang flächendeckend unterfinanziert. Trotz steigender Studierendenzahlen ging die Anzahl an Wohnheimplätzen seit 2018 von 26.200 auf 24.100 zurück. 

„Ein politisches Totalversagen. Es ist bekannt, dass die CSU in Wohnungsfragen völlig inkompetent ist und 2013 sogar großflächig bezahlbaren Wohnraum privatisiert hat.“ Stefan Jagel, Fraktionsvorsitzender der Stadtratsfraktion DIE LINKE / Die PARTEI

Wer kann dieses Großprojekt stemmen?

Deshalb fordert die Fraktion DIE LINKE / Die PARTEI in ihrem Antrag, dass nun die Münchner Raumentwicklungsgesellschaft (MRG) mit ihrer großen Erfahrung in diesem Feld die Sanierung unterstützen soll. Die MRG betreut neue Bauprojekte als kommunaler Maßnahmeträger und Dienstleister der Landeshauptstadt München. Damit ist sie unter anderem verantwortlich für die Schaffung von neuem Wohnraum, aber auch für Großprojekte wie den Sanierungsplan des Klinik-Verbundes der Städtisches Klinikum München GmbH.

Pamela Tumba, Kommunikationsreferentin und stellvertretende Pressesprecherin der Stadtratsfraktion Die Grünen / Rosa Liste, hält es für fraglich, ob die MRG noch genügend Kapazitäten dafür aufbringen kann. Die MRG sei bereits mit Projekten wie dem Bildungscampus Riem, Städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen (SEM) oder der Sanierung des Thalkirchner Campingplatzes ausgelastet.

Ob eine Beteiligung der MRG sinnvoll wäre, könne die Stadtratsfraktion CSU / Freie Wähler sachlich nicht beurteilen. Grundsätzlich gelte, dass die Beschaffung von Wohnraum für Studierende Aufgabe des Freistaats und der Hochschulen sei.

Eine Sache des Freistaats?

Beatrix Zurek, 1. Vorsitzende des Münchner Mietervereins, ist der Meinung, dass der Freistaat die Verantwortung für das Dilemma tragen und dementsprechend auch zeitig handeln muss. Wenn das mit Hilfe der BayernHeim geschehen soll, sei ihr das recht – Hauptsache, endlich passiert etwas:

„München kann es sich nicht leisten, bestehenden bezahlbaren Wohnraum leer stehen zu lassen. Der Freistaat kann die Verantwortung hier nicht auf das Studierendenwerk abwälzen. Das Problem wurde jahrelang verschleppt, weil es für die Landesregierung offenbar keine Priorität hatte. Und es bringt jetzt nichts, hier nun auch noch nach Hilfe der Stadt München zu rufen, die bis über beide Ohren damit beschäftigt ist, die Scharten des Freistaats bei der Schaffung und dem Erhalt von bezahlbarem Wohnraum auszuwetzen. Der Freistaat muss endlich Verantwortung übernehmen. Wohnraum für Studierende ist eine Investition in die Zukunft dieser Stadt.“ Beatrix Zurek, 1. Vorsitzende des Münchner Mietervereins

Anna Hanusch, selbst Architektin und Stadtratsmitglied in der Fraktion Die Grünen / Rosa Liste, zeigt sich enttäuscht über das bisher so bruchstückhafte Vorgehen. Grundsätzlich sei die Zusammenarbeit des Freistaats in der Stadtplanung der verbesserungsfähig. Oft würde man von neuen Beschlüssen und Ideen über Bauprojekte erst aus der Zeitung erfahren. Unabhängig davon sei die Sanierung klar Aufgabe des Freistaats und die bisherigen Verzögerungen gebe es nicht aufgrund der Umsetzung oder Planungsprozessen, sondern wegen fehlenden Beschlüssen. Und das obwohl die Informationen seit Jahren vorliegen müssten und man spätestens ab dem Brand 2021 ein Umsetzungskonzept hätte erarbeiten können.

„Leider sind die Studierenden in München nicht sehr weit oben auf der Prioritätenliste von Minister Blume und es hat sich viel zu lange hingezogen mit klaren Zusagen, so dass auch dem Studentenwerk die Hände gebunden waren.“ Anna Hanusch, Stadträtin Fraktion Die Grünen / Rosa Liste

Unabhängig von der Frage, wo die Schuld für diesen Zustand liegt und wer nun die Sanierung übernehmen soll, fällt auf, dass es ohnehin zu lange dauerte bis der Leerstand in der Studentenstadt überhaupt publik wurde.

Erst nach einem Jahr soll das Sozialreferat vom Massen-Leerstand in der Studentenstadt Kenntnis genommen haben. Auf unsere Anfrage welche Gründe es dafür gab, haben wir Stand jetzt noch keine Antwort erhalten. Der Leerstandsmelder des Sozialreferats ist bislang leider nur wenigen Menschen bekannt und kompliziert in der Anwendung. Stefan Jagel betont, dass der Leerstand wesentlich früher erkannt worden wäre, würde man den Leerstände über die sogenannte Strom-Zähler Methode erfassen. In anderen Städten wird diese Methode bereits seit längerem angewendet, um Leerstand möglichst schnell zu erkennen. Pamela Tumba merkt an, dass bei rund 800.000 Wohnungen die Kapazitäten fehlen würden, um alles im Blick zu behalten.

Wie viel Wohnraum fehlt für Studierende?

Aktuell gibt es für etwa 110.000 Studierende (Zahl der Studierenden im WS 2021/2022) in München lediglich 9.500 Wohnheimplätze. Somit bekommt nicht einmal jede*r zehnte Studierende einen Wohnheimplatz. Die Quote hat sich in München in den letzten fünf Jahren von 12,15% (Stand 2018) auf 8,63 % (Stand 2022) verringert.

„Wir brauchen langfristig mindestens 20.000 Wohnheimplätze in München. Ein Ziel sollten 1.000 neue Wohnheimplätze pro Jahr sein. Gleichzeitig müssen die Sanierungsmaßnahmen in der Studentenstadt und anderen Wohnheimen schnellstmöglich umgesetzt werden.Stefan Jagel, Fraktionsvorsitzender der Stadtratsfraktion DIE LINKE / Die PARTEI

Nach Angaben der ÖDP gibt es derzeit 15.000 wohnungssuchende Studierende in München. In 2021 standen rund 14.000 auf der Warteliste des Studierendenwerks. In 2018 waren es noch ca. 10.000 – das wäre also ein gewaltiger Anstieg binnen weniger Jahre. Der aktuelle Mietspiegel für 2023 mit einer Steigerung von 21 Prozent lässt vermuten, dass die Zahl der wohnungssuchenden Studierenden weiterhin ansteigt. Es brauche unbedingt den Mietenstopp, um Zeit zu gewinnen, die Prioritäten neu zu setzen und zügig vernünftige Lösungen zu finden, so Zurek.

Nun stellt sich die Frage, wie schnell mit Entscheidungen und Maßnahmen zu rechnen ist. Dirk Höpner befürchtet, dass es aufgrund der sechsmonatigen Bearbeitungsfrist noch lange Dauern wird bis Unterstützung beim Studierendenwerk ankommt. Noch dazu werden in solchen Fällen oft Fristverlängerungen gewährt. Da die Gestaltungsmacht letztendlich bei den großen Fraktionen im Stadtrat und bei Oberbürgermeister Dieter Reiter liegt, seien die Studierenden daher gut beraten sich direkt an diese zu wenden.


Beitragsbild: © Studentische Selbstverwaltung “StuSta” e.V.

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