Münchner Rathaus Innenstadt
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Die Innenstadt muss sterben

Thomas Stöppler

Die Berliner*in als Solche verlässt ja nur ihren Kiez, wenn sie durch widrige Umstände wie zum Beispiel Arbeit dazu gezwungen wird. Um das zu illustrieren: Ich habe mal mit meinem Mitbewohner, ebenfalls gebürtiger Kreuzberger, über eine halbe Stunde lang diskutiert, ob wir auf eine Party nach Friedrichshain fahren. Fahrtweg waren nicht mehr als 20 Minuten, aber wir mussten halt unser Viertel verlassen. Keiner von uns hatte Lust, aber keiner von uns hatte ein überzeugendes Gegenargument.

Die Münchner*in als Solche verlässt andauernd ihr Viertel. In einem Kiez zu wohnen ist hier ein seltenes Privileg. Das liegt nicht daran, dass der Münchner als Solcher gerne U-Bahn fährt, sondern daran, dass man am Harras schlecht Bier trinken gehen kann. Da muss man schon mindestens zur Poccistraße. Von der Poccistraße aus gibt es dann Richtung Marienplatz immer mehr und mehr Möglichkeiten, Getränke oder Essen zu konsumieren. Ab dem Goetheplatz gibt es dann ein mehr oder weniger konstantes Niveau, was spätestens nach der Uni wieder abnimmt und hinter der Münchner Freiheit und dem grandiosen Pilsdoktor wieder komplett versiegt.

Ortsrand, Tanke, Ende

Die gleiche Achse kann man von der Schwanthalerhöhe zum Ostbahnhof ziehen und vom Ostfriedhof zum Rotkreuzplatz. Shopping außerhalb von Einkaufszentren, sondern das schöne Shopping – das, das glücklich macht – in diesen kleinen sympathischen Läden verläuft auch anhand solcher Achsen. Genau deswegen ist München ein Dorf: Es gibt einen Marktplatz und an dem richtet sich alles aus. Am Ortsrand gibt es noch eine Tankstelle. Ende.

Nur funktioniert so keine Millionenstadt. Es gibt jede Menge Menschen in Brooklyn, die noch nie den East River überquert haben. Wen interessiert Manhattan, wenn man in Williamsburg wohnt. Wen interessiert das Marais, wenn er in Montmartre wohnt. Okay, Paris und New York sind andere Hausnummern als München. Aber was ist mit Basel: Menschen in Kleinbasel fahren selten über den Rhein. Warum auch: Das Viertel hat ja alles.

Tschüss, Kette

Die Konzentration aufs Zentrum macht ganz viel kaputt: Den Verkehr, weil man immer über die Innenstadt fährt. Immer. Sie macht den Einzelhandel kaputt, also jedenfalls diesen, der glücklich macht, mit den schönen kleinen Läden, weil am Harras niemand shoppen geht und in der Innenstadt sich nur die großen Ketten die Mieten leisten können. Und aus dem gleichen Grund Gastronomie: Die L’Osteria kann sich die Mieten leisten und Starbucks, McDonalds und die Wiesnwirte sowieso, aber nicht die Läden, in denen man ein zweites Wohnzimmer hat.

Deshalb lasst die Innenstadt sterben. Lasst Kaufhof Pleite gehen und wen auch immer es noch erwischt, lasst den Leerstand zu, haltet das aus. Denn aus Leerstand entsteht wieder Neues. Nichts blüht so in München wie PopUp Stores und Büros, schlicht weil bei Zwischenlösungen Mieten bezahlbar werden: Kunst, Gastronomie, Yoga, Mode. Die Ideen sind da, jetzt braucht die Politik noch den Mut. Aber nicht nur in der Innenstadt, sondern eben auch am Harras oder in Berg am Laim entstehen neue Chancen für Läden, Cafés und Bars.

Mein Mitbewohner und ich sind übrigens zu der Party gefahren. War langweilig, sind wieder nach Kreuzberg zurück. Was genau dann passiert ist, kann ich dank diverser Erinnerungslücken nicht mehr genau sagen. Habe aber ein gutes Gefühl, was den Rest vom Abend angeht.

Foto: Elea Bank

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